„Wunderwuzzis“ nötig

Neue Lehrpläne für Lehrer praxisfern und unmöglich

Österreich
20.09.2022 10:14

Die neuen Lehrpläne für die Volks- und Mittelschule bzw. AHS-Unterstufe stoßen bei Lehrervertretern nicht auf Gefallen: Sie seien teils „unleserlich verfasst“ und in der Praxis nicht umsetzbar, heißt es in der Stellungnahme der Pflichtschullehrergewerkschaft zu den Entwürfen, deren Begutachtungsfrist am Montag endete. Dafür würde es rund 125.000 „Wunderwuzzis“ brauchen. Ähnlich äußerten sich auch die AHS-Lehrer.

Die neuen Lehrpläne für alle Fächer der Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe werden seit 2018 erarbeitet und sollen ab 2023/24 gelten. Technisch sind sie Verordnungen, die vom jeweiligen Bildungsminister erlassen werden. Die Pflichtschullehrer vermissen vor allem den Praxisbezug: „Pro Unterrichtsfach sollen angeblich mindestens zehn Fachpraktikerinnen und -praktiker an den Inhalten mitgearbeitet haben. Offensichtlich wurde diese Expertise bei der Lehrplanerstellung nicht ausreichend berücksichtigt, was wir nicht nur sehr bedauern, sondern auch negative Auswirkungen auf die praktische Verwendbarkeit im Unterricht haben wird.“

(Bild: Alexander Schwarzl)

Vermittlung überfachlicher Kompetenzen „schier unmöglich“
In sämtlichen Lehrplänen wird zwischen fachlichen, überfachlichen und fächerübergreifenden Kompetenzen unterschieden. Nach Ansicht der Gewerkschaft sind dabei die fachlichen Kompetenzen „unleserlich verfasst“ und drohten dadurch zu einem „bestgehüteten Geheimnis“ zu werden. Die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen wie Motivation, Selbstwahrnehmung und Vertrauen in die eigene Person bzw. soziale und lernmethodische Kompetenzen wiederum erscheine in den derzeit oft großen Klassen mit Kindern verschiedener Nationalitäten bzw. mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen „schier unmöglich“.

13 fächerübergreifende Themen im neuen Lehrplan
„Schwer umsetzbar“ erscheint den Pädagogen auch die Implementierung von 13 fächerübergreifenden Themen in den Unterricht. Diese reichen von Entrepreneurship Education über informatische und interkulturelle Bildung über Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung bzw. Sexualpädagogik bis zu Verkehrsbildung und Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung.

Ganz generell fragen sich die Pflichtschul-Lehrervertreter nach dem Praxisbezug mancher Formulierungen im Lehrplan: Dort heißt es etwa zu den allgemeinen didaktischen Grundsätzen: „Lehrerinnen und Lehrer verstehen es als ihre Aufgabe, Schülerinnen und Schüler individuell wahrzunehmen und zu fördern und vermeiden stereotype Zu- und Festschreibungen. Lehrerinnen und Lehrer kennen und nutzen geeignete pädagogische Diagnoseinstrumente, um die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler festzustellen und deren Lernprozesse entsprechend begleiten zu können. Sie fördern individuelle Lernprozesse durch unterschiedliche und abwechslungsreiche Lernsettings und verwenden dazu passende Lernmaterialien. Sie geben individuelle, lernförderliche Rückmeldungen und ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, ihren Kompetenzzuwachs bewusst wahrzunehmen.“

Pflichtschullehrer: „125.000 Wunderwuzzis nötig“
„Und das in einer Klasse mit 25 bis zu 29 Schülerinnen und Schülern!“, schreiben die Gewerkschafter. Den am Lehrplan beteiligten Fachpraktikern dürfte hier der Praxisbezug abhandengekommen sein, vermuten sie - „oder man geht generell davon aus, dass ca. 125.000 ,Wunderwuzzis‘ ihren Dienst an Österreichs Schulen versehen“.

Die AHS-Lehrergewerkschaft argumentiert ähnlich: „Die Gliederung in fachliche, überfachliche und fächerübergreifende Kompetenzen, die Textfülle und die große Zahl an fächerübergreifenden Themen machen den Lehrplan schwer lesbar. Viele der angestrebten Ziele scheinen uns schwer umsetzbar bzw. praxisfern.“ Sie lehnen das geplante In-Kraft-Treten der neuen Lehrpläne mit dem Schuljahr ab: In dieser kurzen Zeit könnten weder Schulbücher approbiert noch Mehrarbeit vermieden werden. 

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