Angesichts der von Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigten Teilmobilmachung für den Ukraine-Krieg mahnt Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Ruhe: „Das Wichtigste ist jetzt, die Nerven zu bewahren“, erklärte Van der Bellen am Rande der UNO-Vollversammlung in New York. Eine Eskalation des Konflikts konnte der Bundespräsident nicht ausschließen. Doch meinte er: „Wir sollten jetzt nicht in Panik verfallen.“
Es bleibe abzuwarten, welche Reaktionen die „Teilmobilisierung von jungen Männern“ in der russischen Bevölkerung auslöse, meinte Van der Bellen. Doch habe Putin ja auch Referenden in den besetzten Gebieten angeordnet. Es sei völkerrechtlich aber verboten, in okkupierten Gebieten nach wenigen Wochen Volksabstimmungen anzusetzen, betonte Van der Bellen, der im Interview mit der APA deshalb auch von „Scheinreferenden“ sprach. „Ich glaube, der Trick dahinter ist, durch das Referendum die besetzten Gebiete zu russischen Gebieten zu erklären und dadurch einen allfälligen Vormarsch der Ukraine als einen Vormarsch auf Russland zu interpretieren“, erklärte das Staatsoberhaupt. Das sei eine gefährliche Spekulation und würde eine neuerliche Eskalation des Krieges nahelegen.
Nehammer spricht von „Gefahr eines Weltkriegs“
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Van der Bellen und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in diesem Zusammenhang sogar die Gefahr eines „Weltkriegs“ ausgesprochen. Van der Bellen erklärte dazu im APA-Gespräch, er hoffe, dass es nicht zu so einer Zuspitzung kommen werde. Er rechne auch nicht damit. „Weil doch auch die russische Führung sich der Gefahr dieser Art von Eskalation bewusst sein muss. Was das auch für Risiken für Russland selbst bedeutet.“
Die Position der Europäischen Union sei jedenfalls klar, stellte Van der Bellen fest. „Die Sanktionen werden beibehalten. Ob sie im einen oder anderen Punkt modifiziert werden sollen, ist zu diskutieren.“
„Putin jahrelang hofiert“
Von der APA konkret darauf angesprochen, stellte Van der Bellen zwar in Abrede, dass die österreichische Politik und die heimische Wirtschaft Putin in den vergangenen Jahren „hofiert“ habe, räumte aber gewisse Fehleinschätzungen ein. „Wir sind es einfach gewohnt, und ich nehme mich da persönlich auch nicht aus, dass wirtschaftliche Beziehungen in der Regel das Zusammenleben erleichtern. Warum? Es hat ja jeder einen Vorteil davon.“ Auch er selbst denke da „wie ein klassischer Ökonom“ und sage, „dass wirtschaftliche Beziehungen unter friedlichen Bedingungen, unter fairen Wettbewerbsbedingungen das Zusammenleben und den Wohlstand beider Länder fördern.“
Wir haben uns in die Irre führen lassen.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen über Putin
In Bezug auf Russland unter Putin „haben wir uns in die Irre führen lassen“, gestand Van der Bellen dann aber im Rückblick ein. Es sei vergessen worden, dass es eben Staatenlenker gebe, die auch schwere wirtschaftliche Verluste für ihr Land in Kauf nehmen würden, „um einen ideologisch motivierten Krieg zu führen“, analysierte der Bundespräsident. „Diese Lektion müssen wir lernen, dass nicht alle so denken wie wir in der Europäischen Union.“
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit den damit verbundenen Begleiterscheinungen habe aber auch gewisse Rückschläge bei der Klima- und Umweltpolitik der EU gebracht, bedauerte Van der Bellen. So „hätten wir uns nie vorstellen können, dass wir jetzt auch in der Europäischen Union darüber nachdenken, wo kriegen wir wieder einen Gasnachschub her?“, sagte das Staatsoberhaupt und nannte auch die „vorübergehende Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken“ als Beispiel. „Im Kampf gegen die Klimakrise sind Kohlekraftwerke das Letzte, das wir brauchen können. Die CO2-Emissionen sind dort am größten.“ Deswegen dürfe es sich wirklich nur um vorübergehende Maßnahmen handeln, um die ärgste Krise im kommenden Winter zu vermeiden. „Mal sehen, wie es dann im nächsten Frühjahr weitergeht. Der drohende Klimanotstand ist offensichtlich!“
Auch positive Entwicklungen
Allerdings ortete Van der Bellen auch positive Entwicklungen. So sei es auch dank der Vermittlung der Türkei mit Präsident Recep Tayyip Erdogan, den Van der Bellen am Mittwoch in New York traf, gelungen, durch Gespräche mit Russland, der Ukraine und der UNO Getreideexporte aus ukrainischen Schwarzmeerhäfen zu ermöglichen. „Das ist eine großartige Geschichte, weil wir einfach sehen müssen, dass ohne diese Getreideexporte tatsächlich in vielen Ländern der Welt eine echte Hungersnot droht.“ Das seien nicht einfach „Einschränkungen wie bei uns“, gab Van der Bellen zu bedenken. Fazit: „Also das ist ein sehr, sehr positives Ereignis gewesen.“
Einen konkreten Ausblick, worüber die UNO-Generalversammlung angesichts der turbulenten Ereignisse in der jüngsten Zeit im kommenden Jahr diskutieren werde, wollte Van der Bellen trotz APA-Aufforderung nicht wagen: „Bin ich ein Prophet?“ Er hoffe aber, dass sich bis September 2023 etwa Corona tatsächlich auf einem „so seichten Niveau“ befinde, „dass wir sagen: Okay, das haben wir jetzt im Wesentlichen hinter uns.“ Wünschenswert wäre natürlich auch, dass sich die Energielieferungen bis dahin „auf ein Niveau eingependelt haben, wo man sagt, es ist nicht so super wie vor dem Krieg, aber wir können damit umgehen und damit leben“.
Treffen mit Guterres
Im Rahmen seines Besuchs bei der UNO-Vollversammlung war Van der Bellen am Mittwoch im UNO-Hauptquartier am New Yorker East River gemeinsam mit Bundeskanzler Nehammer und Außenminister Schallenberg auch mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zusammengekommen. Am Abend (Ortszeit) traten Van der Bellen und Nehammer den Rückflug nach Wien an. Schallenberg bleibt noch bis Freitag in New York, für Donnerstagabend (Ortszeit) ist seine Rede vor der UNO-Generalversammlung geplant.
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