Zwei Tage nach Präsident Wladimir Putins Ankündigung ist in Russland die Teilmobilmachung bereits in vollem Gange. Videos zeigen Männer, die sich von ihren Familien verabschieden und in Busse einsteigen, die sie zur Vorbereitung für ihren Ukraine-Einsatz bringen (siehe oben). Erste Neo-Soldaten sind betrunken und bekämpfen sich gegenseitig.
„Moral geht durch die Decke“, schrieb der weißrussische Journalist Tadeusz Giczan zu dem Video, das er auf Twitter postete. Darauf sind Neo-Soldaten in Yuzhno-Kurilsk, im fernen Osten Russlands, zu sehen, die sich unter Alkoholeinfluss gegenseitig bekämpfen.
Die Behörden hätten kürzlich bereits in einigen östlichen Regionen Russlands den Verkauf von Alkohol während der Mobilisierungsphase verboten, aber das helfe nicht viel. Konkret ist der Raum innerhalb von 300 Metern um militärische Rekrutierungsbüros betroffen.
Abschied nehmen
Die Teilmobilmachung ist in vollem Gange. Junge wie ältere Menschen verabschieden sich von ihren Familien. Viele wissen nicht, was sie erwartet. Andere fürchten, ihre Verwandten, Freundinnen und Freunde nie wiederzusehen.
Ein Teil freut sich aber auch darauf, für das Vaterland kämpfen zu dürfen. Insgesamt sollen es 300.000 Reservistinnen und Reservisten werden, die Putins Armee dienen - eine Aufstockung nach den Verlusten im Krieg gegen die Ukraine.
In den ersten 24 Stunden haben sich laut Angaben der Armee gleich rund 10.000 Menschen freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet, der in Russland noch immer als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet wird (womit kein Kriegsrecht gilt). Die Armee hat ein Callcenter eingerichtet, um Fragen zur Mobilisierung zu beantworten. Reservistinnen und Reservisten sollen in bestimmten Regionen wie der Hauptstadt Moskau monatliche Sonderzahlungen zusätzlich zum Sold erhalten. Für Verletzungen sind weitere Zulagen geplant, nach dem Tod eines Soldaten oder einer Soldatin soll die Familie Geld bekommen.
Segen für Kampfeinsatz
Damit der Einsatz aber möglichst gut überstanden wird, segnen orthodoxe Priester derzeit die Neo-Soldatinnen und Neo-Soldaten. „Es scheint, dass sie weniger Angst davor haben, in der Ukraine zu sterben, als gegen ihre Spezialeinheiten der Polizei zu kämpfen und sich ihrem Regime zu widersetzen“, meinte Anton Geraschtschenko - er ist ein Berater des ukrainischen Ministeriums - auf Twitter.
Proteste und Ausreisen
Es sei eine „traurige Szene. Warum weigern sie sich nicht, gegen die Ukraine in den Krieg zu ziehen?“, schrieb auch der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Anders Åslund. Zu sagen, dass es absolut keinen Widerstand gebe, wäre jedoch falsch. Gleich nach Putins angekündigter Teilmobilmachung kam es am Mittwochabend zu Protesten, bei denen mehr als 1300 Menschen festgenommen wurden. Unter ihnen waren Minderjährige sowie Journalistinnen und Journalisten. Gegen manche werden Strafverfahren eingeleitet, ein Teil soll von der Straße direkt in den Krieg geschickt werden.
Vor allem mittellose und wenig privilegierte Menschen sind von der Teilmobilisierung betroffen. Wer es sich leisten kann, versucht hingegen oft, in benachbarte Länder auszureisen. Wie berichtet, haben sich etwa lange Menschenschlangen an den Grenzübergängen zum Nachbarland Finnland gebildet. Vermehrte Migrationsströme verzeichneten am Freitag auch die Ex-Sowjetrepubliken Kasachstan, Armenien und Georgien.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.