Vor fast vollem Haus bewies der 66-jährige Punkrock-Urvater Billy Idol Montagabend im Wiener Gasometer, dass man vor allem im Kopf jung bleiben muss. Seine vorwiegend aus 80er-Klassikern bestehende Hit-Revue nahm zwar sehr langsam an Fahrt auf, steigerte sich aber zu einem stimmungsvollen Crescendo.
Die blonde Stachelmähe steht akkurat nach oben, der Körper ist nicht mehr taufrisch, aber drahtig und die Lederjacke sitzt angegossen wie eine zweite Haut - wie schon Mick Jagger und Iggy Pop in den letzten Monaten, beweist Montagabend auch Billy Idol, dass Rock’n’Roll-Pensionäre sich in ihrem angehenden Lebenswinter nicht gerne vor dem wärmenden Kaminofen am Earl Grey laben, sondern mit einem intensiven Fitnessprogramm und viel Liebe zum Tun lieber ordentlich die Sau rauslassen. Den mehr als 3.200 Fans in einem fast ausverkauften Wiener Gasometer gefällt das ebenso, auch wenn der mittlerweile 66-Jährige gerade am Anfang schwer zu kämpfen hat. Einerseits mit dem Sound, andererseits mit seiner Stimme. Der eröffnende Kultklassiker „Dancing With Myself“ von seiner einstigen London-Punk-Band Generation X gerät leider gar dünn, beim bekannten „Cradle Of Love“ machen sich bei einigen Anwesenden erste Sorgenfalten breit, wie das denn nun weitergehen würde.
In die Spur gefunden
Das Rundherum ist einer guten Arena-Show aber würdig. Das Backdrop wechselt zwischen verschiedenen New-York-Szenerien und spiegelt die karriereumspannende Raubeinigkeit des Frontmannes passend wider. Die fünfköpfige Band mit gleich drei Gitarristen agiert engagiert und fehlerlos und Billys juvenile Tanzmoves und Motivationsgesten lassen bei der noch jungen Tour keine Müdigkeitserscheinungen erkennen. Natürlich wäre das Open-Air-Gelände der Arena wie geplant im Juli ein größeres Geschenk gewesen, doch nach seiner krankheitsbedingten Absage nimmt man auch das rappelvolle und überhitzte Oval in Simmering in Kauf. Den ersten Outfitwechsel vollzieht Idol schon nach wenigen Minuten ungeniert am vorderen Bühnenrand, das kultige „Flesh For Fantasy“ singt er mit nacktem Oberkörper in die Massen. Idol schwärmt von Wien und bedankt sich für die Show, seine Instrumentaltruppe gerät erstmals ins Jammen und langsam, aber sicher, findet auch Billys Timbre in die Spur.
Erwartungsgemäß setzt Idol nicht nur auf die großen Hits der 80er, sondern mischt auch neue Produktionen unters Volk. Das Titellied der brandneuen EP „Cage“ ist kompositorisch leider unheimlich dünn geraten, „Runnin‘ From The Ghost“ bringt etwas mehr Schwung rein und bei „Bitter Taste“ von der erst 2021 erschienenen „The Roadhouse“-EP gelingt dem markanten Frontmann dann sogar eine Gesangsleistung, die über die drohende Stimmlagen-Monotonie hinausgeht. Der Sound pendelt sich nach einem guten Konzertdrittel ebenfalls ein und die gesamte Show beweist mit all ihren Einzelkomponenten, was eigentlich alles in ihr steckt. Bei „Speed“ erinnert der Wahl-New-Yorker nostalgisch an die Dreharbeiten zum gleichnamigen Film mit Keanu Reeves und im melancholischen L’amour-Hatscher „Eyes Without A Face“ transferiert der Rebell seine spezielle Romantik ins ergriffene Publikum.
Mehr als nur ein Partner
Ihm stets zur Seite steht sein Songwriting-Kompagnon Steve Stevens, der mit seinem Gespür für Hits nicht umsonst den Großteil von Idols Songs mitkomponiert hat. Dass der geniale Shredder sein programmatisch aufgebautes Gitarrensolo schon nach bereits sechs Minuten beendet, ist ihm positiv anzurechnen. Auch, dass er den Led-Zeppelin-Klassiker „Stairway To Heaven“ einbaut, wohlwissend, dass der Song im Original nie auf einer Bühne zu hören sein wird. Ansonsten macht er auch im Gasometer das, was er am besten kann: er gibt den New-wavigen Punkrock-Songs von Billy Idol eine Glam-lastige Hardrock-Note, die immer mit einem Fuß tief in den 80er-Jahren steckt. „Der ist so schiach, der musste als Gitarrist so gut werden, damit ihn wer auf die Bühne lässt“, ergehen sich zwei nadelstreifhemdentragende Fans mittleren Alters in verbale Ausfälle, nur um ihren Helden gleichermaßen zu ehren und bewundern. Des Wieners Seele ist halt eine besondere, aber Stevens erspielt sich ihre Gunst mit Verve.
Stevens stellt sich brav in den Dienst der Mannschaft und fährt nur noch einmal mit seinem Oscar-prämierten „Top Gun“-Riff in „Blue Highway“, ansonsten lässt er seinem Lebensmenschen Idol die große Show. Der fährt im Schlussdrittel alle Register auf und zeigt sich in Top-Form. Ein kantiges „One Hundred Punks“ von Generation X, ein herzhaftes Heartbreakers-Cover namens „Born To Lose“ und natürlich der Überhit „Rebel Yell“, den Idol etwas ironisch als „persönlichen Lieblingssong“ seiner Vita anpreist und damit fast auch die Sitzplätze zum Tanzen bringt. Jetzt nur nicht übermütig werden! Mit „White Weeding“ endet die Show nach viel zu kurzen 90 Minuten und wirft für die Analysen Fragen auf. Gehen sich da nicht mehr Songs aus? Warum hat es solange gedauert, bis Billy seinen Drive fand? Wirklich kein „Sweet Sixteen“? Es gab Idol schon besser und auch schon schlechter. Doch seine charmante Selbstironie gepaart mit den großen Hits und jubelnden Fans ist auch nach dem x-ten Mal unwiderstehlich. Billy, einmal geht’s noch!
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