Weitere Details sind am Donnerstag im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer bekannt geworden, der an einer Wiener Mittelschule mehr als zwei Dutzend Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte. Der Wiener Basketballverband (WBV) hatte einen möglichen Mittäter bereits 2019 aus dem Verkehr gezogen, nachdem dieser sich nicht an eine Vereinbarung gehalten hatte, die der WBV unter Einbindung der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) mit ihm getroffen hatte. Indes wurde bekannt, dass die Erhebungen in der Causa ausgeweitet werden.
Der mögliche Mittäter - ein früherer Lehrer, der wegen eines Missbrauchvorwurfs den Schuldienst quittieren hatte müssen und danach beim WBV eine Beschäftigung fand - war vom Sportlehrer zu einem Wiener Sportverein gebracht worden, wo er als Basketball-Trainer tätig war. In dieser Funktion sei er Burschen körperlich „unangemessen nahegekommen“, sagte WBV-Präsident Thomas Holzgruber am Donnerstagnachmittag im Gespräch mit der APA. Er habe davon „aus der Basketball-Szene, von Trainern“, aber nicht aus dem Verein selbst erfahren, meinte Holzgruber.
Vereinbarung getroffen
Informationen der APA zufolge soll der Ex-Lehrer, der männliche Minderjährige trainierte, den Burschen unter anderem beim Umziehen in der Garderobe und beim Duschen „geholfen“ haben. Gemeinsam mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) wurde im Dezember 2018 mit dem Trainer eine Vereinbarung getroffen, die unter anderem vorsah, dass er seine „Hilfsdienste“ in der Garderobe einstellte, keine körperliche Nähe mehr suchte, Kinder unter 14 Jahren nicht mehr trainierte und der Kontakt zu Jugendlichen nur mehr vereinsöffentlich erfolgte.
„Keine handfesten Beweise“
Im Gegenzug wurde vorerst von einer Anzeige abgesehen - mit Wissen und Zustimmung der Kinder- und Jugendanwaltschaft, wie Holzgruber betonte. Das bestätigte KJA-Leiter Ercan Nik Nafs gegenüber der APA. Es habe „keine handfesten Beweise für ein klares strafrechtliches Fehlverhalten“ gegeben, erklärte Nik Nafs. Der Trainer habe sich außerdem verpflichtet, sich einer Therapie bei der Männerberatung zu unterziehen. Der Kollegin sei das als hinreichendes Maßnahmenbündel erschienen.
Unterlagen an Polizei übergeben
Der Trainer hielt sich aber nicht an die getroffene Vereinbarung. „Er ist nicht zur Männerberatung gegangen und hat auch unter 14-Jährige trainiert“, berichtete Holzgruber. Der Verein sei von diesem Umstand informiert worden. „Ohne dass weitere Vorwürfe gegenüber dem Verband kundgetan wurden, sind die im Basketballverband aufliegenden Unterlagen zur weiteren Recherche an die Polizei übergeben worden“, teilte Holzgruber mit.
Unterlagen gelangten nicht zur Staatsanwaltschaft
Dem Verein wurde auferlegt, den Mann auch bei Kindern über 14 Jahren nicht mehr als Trainer zu beschäftigen. Der Mann sei in weiterer Folge für alle Basketballaktivitäten gesperrt worden. „Er ist seither von der Bildfläche verschwunden“, hielt der Wiener WBV-Präsident fest. Jeder einzelne Schritt sei mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien abgesprochen gewesen. Die bei der Polizei abgegebenen Unterlagen fanden - aus welchem Grund auch immer - jedoch nicht den Weg zur Staatsanwaltschaft Wien.
Wie Behördensprecherin Nina Bussek auf APA-Anfrage erklärte, gab es zuletzt 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann, wobei es damals um den Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung im schulischen Bereich ging. Dieses Verfahren sei eingestellt worden, die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tat war nach Einschätzung der Anklagebehörde nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht bzw. die weitere Verfolgung des Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig.
Seither habe es kein Ermittlungsverfahren gegeben - bis zum vergangenen Montag, als von einer Opfer-Anwältin eine Sachverhaltsdarstellung gegen den Mann und einen weiteren Verdächtigen eingegangen sei, die nun geprüft werde, wie Bussek ausführte.
U-Kommission weitet Erhebungen aus
Indes gab die eigens eingesetzten Untersuchungskommission bekannt, dass die Erhebungen in dem Fall ausgeweitet werden. Man nehme die neu bekannt gewordenen Vorwürfe sehr ernst und setze alles daran, „an deren lückenloser Aufklärung mitzuwirken“, hieß es in einer der APA übermittelten schriftlichen Stellungnahme.
Meldungen ab 1996 unter der Lupe
Die Kommission, die aus Mitgliedern der Bildungsdirektion, der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) und der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien besteht, wird nun auch Meldungen über allfällige übergriffige Vorgänge an der Schule ab 1996 untersuchen - seit diesem Jahr war der Sportlehrer als pragmatisierter Pädagoge bis zu seinem Selbstmord im Mai 2019 an der Bildungsstätte tätig. Folglich werden nun auch Briefe an ehemalige Schülerinnen und Schüler aller Jahrgänge bis 1996 verschickt. Zuletzt hatten sich die Briefe auf Absolventen der Jahrgänge bis 2004 beschränkt.
Darüber hinaus appellierte die Bildungsdirektion an Betroffene und alle, die zweckdienliche Hinweise zur Aufklärung dieser Vorfälle haben, sich direkt an die Kommission zu wenden, „damit diese den Vorwürfen gezielt nachgehen kann“. Die Kontakt-E-Mail-Adresse dafür lautet kommission@bildung-wien.gv.at.
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