Unheilbar krank: Eine Wienerin entschied sich, aus dem Leben zu scheiden. Jetzt spricht ihr Bestatter.
„Meine Mutter wird sich nächste Woche das Leben nehmen“, sagt eine Frauenstimme leise am Telefon. Am anderen Ende der Leitung sitzt Jörg Bauer, Chef des Bestattungsinstituts Lichtblick in St. Christophen, Niederösterreich. Er gilt als Rebell in der Branche, bietet für die letzte Reise der Verstorbenen Wege abseits der traditionellen Trauerfeiern an. Er erinnert sich.
Bei der Mutter, um die es geht, handelt es sich um Maria S. (Name geändert). Die Wienerin war ihr ganzes Leben lang gesundheitlich beeinträchtigt. Schon im Alter von zehn Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung, kurz Polio genannt. Es handelt sich um eine hoch infektiöse Viruskrankheit, die zu Lähmungen von Armen, Beinen und Atmung führen kann. Die Impfung wurde erst in den 1950er-Jahren entwickelt, zu spät für Maria. Für das Kind war nichts mehr so wie vorher. Die kleine Maria musste stark sein, damals standen Menschen mit einer Behinderung noch am Rande der Gesellschaft.
Berührend: Trotz aller Hindernisse schaffte sie die Ausbildung zur Schneiderin, heiratete und wurde Mutter. Doch an den Folgen der Infektion litt die Wienerin ihr ganzes Leben lang. Mit Anfang 80 beschloss sie, ihr Leben zu beenden. Maria war da bereits in einem Pflegeheim untergebracht, eine Lähmung des Zwerchfells führte zu Ausfällen bei der Atmung. Qualvolles, langsames Ersticken drohte.
Die Patientin entschied sich für den assistierten Suizid, denn die Beihilfe dazu ist in Österreich nach der Entscheidung des Höchstgerichts gesetzlich seit Jahresbeginn legal.
Die Dame hat mir erklärt, es sei höchste Zeit geworden, dass es diese Möglichkeit bei uns gibt. Sie hat auch schon mehrere Jahre darauf gewartet und hat bereits mit dem Gedanken gespielt, in die Schweiz zu fahren.
Jörg Bauer
„Sie drückte eine gewisse Stärke aus“
Als Maria den Bestatter ihres Vertrauens aufsucht, wirkt sie gefasst. „Sie drückte eine gewisse Stärke aus“, so Bauer. Jahrelang hatte die Pensionistin auf diese Möglichkeit gewartet. Nun erfolgte das Prozedere, wie es der Gesetzgeber vorgibt. Die Frau konsultiert zwei Ärzte, mindestens einer muss Palliativmediziner sein. Außerdem wird attestiert, dass die Patientin bei klarem Verstand ist. Auch ein Notar wird hinzugezogen und stellt zu ihrer Verwunderung der Frau medizinische Fragen.
Das Mittel, das sie schluckte, um sanft zu entschlafen, besorgte sie in einer ausgewählten Apotheke. „Ich nehme es gegen 24 Uhr, damit nicht jemand auf die Idee kommt und Erste Hilfe leistet“, vertraut sie ihrem Bestatter an.
Die Familie war mit der Entscheidung einverstanden, der Ehemann wollte nicht so gerne loslassen. Schließlich hörte Marias Herz in jener Nacht für immer auf zu schlagen. Nach ihrem Tod kam die Kriminalpolizei, riegelte das Zimmer ab wie bei einem Mord und prüfte den Fall.
Maria wollte kein Trara um ihren Tod, die Verabschiedung erfolgte im engsten Kreis. Die Urne steht nun bei ihren Liebsten zu Hause ...
Wenn Sie sich in einer schwierigen Lebenssituation oder Krisenzeit befinden bzw. Suizidgedanken haben, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge unter der kostenfreien Telefonnummer 142 in ganz Österreich - täglich 0-24 Uhr.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.