Taxi-Geschichten

Wenn der Berufstraum am Alltagsrassismus scheitert

Wien
08.10.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Noch nicht einmal 5 Uhr morgens ist es, als ich bei herbstkühlen Temperaturen in mein Taxi steige. Während wir über die herabgefallenen Blätter und Kastanien rauschen, weckt mich eine Sonate der Klassik aus dem Öffentlich-Rechtlichen sanft in den noch dunklen Tag. Mein Fahrer Oussama ist ebensowenig Morgenmensch wie ich und schweigt bedächtig, während er sich immer wieder die Augen reibt. Mit mir beginnt sein heutiger Dienst und es ist, wie er mir kurz darauf sagen wird, bereits der neunte Arbeitstag in Serie. Das Geld wachse nicht auf den Bäumen, erzählt er mir schmunzelnd, aber mit ernstem Unterton. Deshalb sei es derzeit unerlässlich, so oft wie möglich auf der Straße zu sein. „Ich merke natürlich, dass den Leuten immer weniger Geld übrigbleibt. Ein Taxi ruft man nicht mehr so schnell, wie es noch vor Corona der Fall war.“

In seinem Beruf ist der Tunesier seit mittlerweile rund 30 Jahren. Mit Leib und Seele, wie er betont - auch wenn es ihm aufgrund unterschiedlicher Umstände heute viel schwerer fällt als früher. Doch Oussama ist Hürden gewohnt und liebt die Herausforderungen. Im 19. Wiener Gemeindebezirk angesiedelt, pendelte er als Jugendlicher jeden Tag zur HAK nach Hetzendorf, doch sein Herz hing an der Technik. „Es war eine schöne Zeit, aber ich musste und wollte mich umorientieren“. Nach einem kurzen Aufenthalt ging es in den späten 80er-Jahren in die HTL Leberstraße, eine für Oussama in mehrfacher Hinsicht prägende Zeit. „Ich hatte mit Mathematik und technischen Fächern nie Probleme, mich hat das immer wahnsinnig interessiert. Die Probleme ergaben sich leider mit den Professoren.“

Wien sei damals eine ganz andere Stadt als heute gewesen, betont er. Es wurde absichtlich im starken Dialekt unterrichtet und die wenigen Nicht-Wiener und internationalen Schüler hätten in den Klassen schwere Probleme gehabt, den Stoff zu verinnerlichen. „Die Professoren waren beinhart. Sie haben ihren Stoff blitzschnell runtergebetet und dabei nicht darauf geachtet, ob Leute wie ich sie verstehen oder nicht. Ich habe von Anfang an Deutsch gelernt, mich sehr bemüht, die Sprache zu beherrschen, aber sie ist nicht leicht und ich brauchte meine Zeit.“ Oussama steckte in der Zwickmühle. Er liebte den Inhalt des Unterrichts und plagte sich mit den Vortragenden. Unterstützung von den Mitschülern war da, aber die hatten selbst Probleme, mit ihrem Stoff zurechtzukommen. Was er damals noch nicht ganz realisieren wollte, das drückt er heute unverblümt aus. „Es war purer Rassismus. Wäre dem nicht so gewesen, dann hätten sich die Lehrkräfte mehr um uns bemüht.“

Heute könne davon aber längst keine Rede mehr sein. „Ich bin bestens integriert und fühle mich in dieser Stadt wohl. Sie hat sich über die Jahre stark verändert und geöffnet.“ Oussama wollte ursprünglich Bauingenieur werden und setzte einige Jahre alles daran, seinen Traum verwirklichen zu können. Dass es nicht ausschließlich an den Verständnisproblemen und fremdenfeindlichen Zügen lag, gibt er unumwunden zu. „Ich habe durch die Vorkommnisse ein bisschen an Motivation und Geist für die Sache verloren, alles zu sehr schleifen lassen.“ Die Lust am Bauwesen hat er von seinem Vater und älteren Cousins geerbt, die in Tunesien in dieser Branche arbeiteten. „Wenn man die Leute von klein auf so sieht, dann prägt das. Leider mangelte es bei mir am Durchhaltevermögen.“

Auch privat ist Oussama mittlerweile angekommen. Mit seiner zweiten Frau, auch einer geborenen Tunesierin, hat er zwei Kinder und wohnt in einer kleinen, aber feinen Wohnung in Döbling. „Ich hatte in der Liebe anfangs nicht immer Glück. Meine erste Ehe war eine einzige Katastrophe und danach ergaben sich Beziehungen, die nur Zeit gekostet haben. Man weiß oft nicht so schnell, was man will und was zu einem passt.“ Die anfängliche Verlegenheitslösung Taxifahren wurde zum jahrzehntelangen Fixjob. „Ich habe noch ein paar Jahre bis zur Pension und freue mich darauf. Ich trauere nichts und niemandem hinterher. Es passt alles so, wie es sich ergeben hat.“ Nur die Frühschichten, die würde Oussama künftig gerne weiter zurückschrauben …

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