Pommers Feierabend

Der Blauring-Oktopus-Moment

Pommer am Abend
07.10.2022 15:12

Einen schönen Freitagabend.

Ich hatte gestern einen Blauring-Oktopus-Moment, und das auf dem Festland. Der Krake ist nicht größer als ein Golfball, hübsch anzusehen, weil schön bunt, aber hoch toxisch - sein Nervengift heißt Tetrodotoxin, auch unter den Namen Maculotoxin oder Tarichatoxin bekannt, und es lähmt den Menschen, zumindest zu Beginn. Die Opfer sind unfähig, sich zu bewegen, sie sind wie paralysiert, und so ging es mir gestern Abend. Ich wurde natürlich nicht von einem Oktopus attackiert, die grantigen Weichtiere leben vor der Küste Australiens oder Neuguineas in etwa 50 Meter Meerestiefe und nicht in meinem Wohnzimmer im 15. Wiener Gemeindebezirk. In diese Phase körperlicher Starrheit hat mich vielmehr die gestrige ORF-Sendung über die Bundespräsidentenwahl versetzt. „So fühlt sich der Blauring-Oktopus also an“, dachte ich mir keuchend. Völlig entkräftet lag ich auf meinem Sofa, die Arme taub, als hätte ich die ganze Nacht auf ihnen geschlafen, ich konnte nicht mehr nach der Fernbedienung greifen, nicht um Hilfe schreien - ich litt an öffentlich-rechtlich induzierter Katalepsie. Gleich vorweg: Nicht weil die Sendung so schlecht war, sie war völlig in Ordnung, aber nach den ersten Interviews mit Michael Brunner und Heinrich Staudinger fiel mein Körper in eine tiefe Schockstarre, wie bei diesen Ohnmachts-Ziegen.

Wenn ich es richtig verstanden habe, aber wie sollte ich auch, möchte Brunner eine Art Österreich-Diktator werden. Ein besonders strenger wäre er noch dazu, einer, der nie ein Auge zudrückt - ist Ihnen aufgefallen, dass er selten bis nie blinzelt? Ein Mensch zwinkert zwischen 10- bis 15-mal pro Minute, Brunner ist das in Summe seit seiner Angelobung als Rechtsanwalt im Jahr 1992 wohl nicht mehr gelungen. Vielleicht erklärt das seinen trüben Blick auf die Dinge. Jedenfalls fordert er eine Art Präsidialdemokratie, will Landesregierungen und Höchstrichter entlassen, wie es ihm beliebt, die Bundesregierung sowieso, und selbst Gesetzesanträge einbringen. Nächstes Ziel: Weltherrschaft.

Heinrich Staudinger möchte sich gleich gar nicht an Gesetze halten: „Das bring ich nicht zsamm. Ich brauch den Spielraum, dass ich ein Gesetz einsehe.“ Ich glaube, das Konzept ist nicht ganz neu, es nennt sich Anarchie. Endlich keine Steuern mehr zahlen, plündern statt einkaufen, Brandschatzen wärmt günstiger als die Wien Energie. Ganz nach dem Motto „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“, hatten wir ja schon einmal. Das Bundesheer soll entwaffnet werden, also nicht ganz, nur ein bisschen - also vielleicht Pfefferspray und Schlagstock statt Kampfpanzer und Fliegerabwehrlenkwaffe. Im Ernstfall kitzeln wir uns durch die Front. Staudingers Fazit: „I warat scho der beste Bundespräsident.“

Ganz ehrlich: Das ist eine Zirkusshow, die so nicht einmal Roncalli auf die Beine stellen kann, eine demokratiepolitische Verhöhnung. Die Wahl für das höchste Amt im Staat ist heuer zu einem Kuriositätenkabinett verkommen - mich hätte nicht gewundert, wenn plötzlich auch die bärtige Lady und ein Schlangenmensch im ORF-Studio gesessen wären, Letzterer auf seinem Kinn. Mit gestern ist auch klar, wieso Alexander Van der Bellen richtige Wahlduelle gemieden hat - das war kein präsidialer Auftritt. Um die Würde des Amtes zu lädieren, brauchte es Donnerstagabend keinen Staudinger.

ORF-Anchorman Armin Wolf zeigte sich heute jedenfalls sehr stolz. Er twittere: „Wow, im Schnitt 915.000 Zuseher·innen über 140 min Bundespräsidentschafts-Abend gestern. Gegen Ende 1,1 Mio. Und was uns ganz besonders freut: Die Seher·innenzahl stieg den ganzen Abend über kontinuierlich an, es hat also kaum jemand weggeschaltet.“ Wie auch? Der Blauring-Oktopus-Moment ist wohl viral gegangen.

Ich wünsche einen schönen Feierabend, so Sie einen haben.

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