Führer des Widerstands
Selenskyj auf den Spuren von Winston Churchill
Ukraine Präsident Wolodymyr Selenskyj und Großbritanniens ehemaliger Staatsmann Winston Churchill: Beide mobilisierten in dunkelster Stunde die Widerstandskraft ihres Volkes. Beide wuchsen in der Herausforderung über sich hinaus.
In „dunkelster Stunde“ (so sein Zitat) war Winston Churchill 1940 an die Macht gekommen; misstrauisch beäugt in der eigenen Partei wegen seines bislang flapsigen politischen Lebenswandels. Nur durch sein großes Rednertalent konnte er den Verdacht zerstreuen, ein Abenteurer zu sein, als er „Keine Verhandlungen!“ hinausposaunte, während Hitler Europa bis zum Ärmelkanal überrannte und die britische Insel ganz allein im Bombenhagel der drohenden Invasion ausgeliefert war.
Gekonnt verstand es Churchill, seine Depressionen („der schwarze Hund“) zu verbergen, während er unter „Blut und Tränen“ die letzten Kräfte seines Volkes mobilisierte. Sein Markenzeichen wurden die zu einem „Victory“ gespreizten Finger.
Selenskyj stand im Ruf eines Leichtgewichts
In der Ukraine war am 20. Mai 2019 ein Mann an die Macht gekommen, der zwar ein Jus-Studium hinter sich hatte, aber als Komiker Karriere gemacht hatte. Der Präsidentschaftssieg war das Produkt seiner Schauspielerpopularität. Wolodymyr Selenskyj eilte der Ruf voraus, ein Leichtgewicht an der langen Leine eines Oligarchen zu sein. Überhaupt hatte das Land als Tummelplatz der Oligarchen keinen guten Ruf. Als es in diesem Frühjahr durch den russischen Truppenaufmarsch brenzlig wurde, standen der Präsident und sein Land ganz alleine da. Die NATO gab die Ukraine für verloren, die USA boten Selenskyj & Co. schon die Evakuierung an.
Selenskyj setzte Zeichen, als er Flucht ablehnte
Selenskyj lehnte auch nur den Gedanken an Flucht ab und rief unter diesem Vorzeichen sein Volk zum Widerstand auf. Als sich dann am 24. Februar die russischen Luftlandetruppen Kiew näherten, um der Ukraine in dunkelster Stunde einen Enthauptungsschlag zu versetzen, empfing sie ein Feuerhagel aus veralteten sowjetischen Waffenbeständen. Der Blitzkrieg der Kreml-Aggressoren, die in ihrem chauvinistischen Hochmut Ukrainer als „Bauerntölpel“ verachten, scheiterte an dem Widerstand, an dessen Spitze der Präsident stand.
Selenskyj an der Front - Putin fern am langen Tisch im Führerhauptquartier: Dieses Bild machte den Ukrainern Mut. Die täglichen abendlichen Videoansprachen des Präsidenten befeuerten die Entschlossenheit zum Durchhalten in den Tagen, an denen die Putin-Truppen eine Ortschaft nach der anderen einnahmen. Mit Videoansprachen verschaffte sich Selenskyj auch auf internationaler Ebene Gehör. In zähem Drängen und mit viel Überzeugungskraft setzte er den Fluss westlicher Waffenlieferungen in Gang. Den deutschen Bundeskanzler Scholz drehte er einfach um.
Auch ist Selenskyj mittlerweile in Kiew zum Gastgeber der Weltpolitik geworden. Die politischen Schwergewichte geben sich bei ihm die Türklinke in die Hand. Wolodymyr Selenskyjs Markenzeichen ist das graugrüne „Armeeleiberl“ geworden. Und die Kugelweste an der Front.
Beide starteten mit Misstrauensvorschuss
Churchill war der Kriegspremier, Selenskyj ist der - jetzt unangefochtene - Kriegspräsident. Beide hat das Schicksal zu Führungsfiguren ihrer Länder bestimmt, die in der epochalen Herausforderung ihrer Zeit über sich hinausgewachsen sind.
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