Urteil in Niederlanden

Webcam-Überwachung ist Menschenrechtsverletzung

Web
10.10.2022 10:24

Weil er sich während seiner Arbeit nicht per Webcam beobachten lassen wollte, war ein niederländischer Angestellter von einem US-Unternehmen gefeuert worden. Zu Unrecht, befand jetzt ein Gericht und verdonnerte den einstigen Arbeitgeber unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 75.000 Euro.

Der in Diessen wohnhafte Arbeitnehmer hatte im Jänner 2019 begonnen, für die niederländische Niederlassung des US-Softwarunternehmens Chetu zu arbeiten. Am 23. August dieses Jahres wurde er angewiesen, an einem virtuellen Training teilzunehmen. Laut „NL Times“ wurde ihm mitgeteilt, dass er während dieses Zeitraums den ganzen Arbeitstag über eingeloggt bleiben müsse, wobei die Bildschirmfreigabe eingeschaltet und seine Webcam aktiviert sei.

Fristlos entlassen
Der Mitarbeiter ortete einen Eingriff in seine Privatsphäre und ließ seinen Arbeitgeber zwei Tage später schriftlich wissen, dass er sich „nicht wohl“ dabei fühle, „neun Stunden am Tag von einer Kamera überwacht zu werden“. Tags darauf wurde er wegen „Arbeitsverweigerung“ und „Ungehorsam“ fristlos entlassen.

Der Mitarbeiter zog daraufhin vor Gericht. Es sei „kein dringender Grund angegeben worden, der die fristlose Entlassung rechtfertigen würde“, argumentierte er. Die Kündigung sei unverhältnismäßig, und die Aufforderung, seine Webcam eingeschaltet zu lassen, sei unangemessen und verstoße gegen die Datenschutzbestimmungen.

Das Gericht teilte diese Auffassung nun und gab dem Mann recht. „Der Arbeitgeber hat die Gründe für die Entlassung nicht deutlich genug dargelegt. Außerdem gab es weder Beweise für eine Arbeitsverweigerung noch eine angemessene Anweisung. Die Aufforderung, die Kamera eingeschaltet zu lassen, verstößt gegen das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privatlebens“, zitierte die „NL Times“ aus dem Urteil.

Unangemessener Eingriff in die Privatsphäre
Chetu hatte argumentiert, dass die Webcam nichts anderes sei, als wenn der Arbeitnehmer im Büro anwesend gewesen und von der Geschäftsführung beobachtet worden wäre. Das Gericht erklärte jedoch, dass der Datenschutz nicht die relevante Frage sei. Stattdessen berief es sich auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem klargestellt wird, dass die Beobachtung von Arbeitnehmern an strenge Bedingungen geknüpft ist. Die Aufforderung, die Kamera eingeschaltet zu lassen, sei ein unangemessener Eingriff in die Privatsphäre des Klägers,

Chetu muss dem Mann nun mehr als 2700 Euro an nicht gezahltem Gehalt, 8375 Euro für eine unrechtmäßige Kündigung, 9500 Euro an Übergangsgeld und 50.000 Euro an zusätzlicher Entschädigung zahlen. Darüber hinaus muss das Unternehmen dem Entlassenen 23 nicht in Anspruch genommene Urlaubstage, die gesetzliche Urlaubsvergütung in Höhe von acht Prozent und möglicherweise eine zusätzliche Strafe für die Nichtvorlage einer Lohnabrechnung im August zahlen. Die Firma muss außerdem für die Gerichts- sowie die Anwaltskosten des Klägers aufkommen.

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