Beginn von Revolution?
Iran-Proteste: „Wir haben nichts zu verlieren“
Seit drei Wochen gibt es immer wieder Proteste im Iran - am Wochenende waren sie besonders heftig, obwohl die iranische Führung brutal zurückschlägt. Mindestens 130 Demonstranten wurden bereits getötet. Warum die Menschen dennoch demonstrieren gehen? „Es geht nicht mehr nur um Kopftuchzwang und den Tod der jungen Frau, sondern um die islamische Ideologie als Basis für ein politisches System“, erklärte dazu ein Politologe in Teheran. Ein Demonstrant meinte, er habe keine Angst vor den Sicherheitskräften: „Wir haben nichts zu verlieren.“
„Islamische Republik, wir wollen dich nicht“, skandieren die Demonstranten. „Das ist kein Protest mehr, sondern der Beginn einer Revolution!“ Auslöser der Proteste war im September der Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini (22) in Polizeigewahrsam, die ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben soll. Richteten sich die Proteste zunächst gegen die rigorosen Kleiderregeln - welche die iranische Führung den Frauen seit der Islamischen Revolution 1979 aufgezwungen hat - stellen die Demonstrierenden inzwischen die Systemfrage.
Wie ein Politologe in Teheran der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview erklärte, habe die Politik in den letzten Jahrzehnten nicht nur das Land international isoliert, sondern auch die Wirtschaft in die schlimmste Krise der iranischen Geschichte gestürzt. Die nationale Währung Rial verlor in den letzten Jahren stark an Wert. Die Menschen leiden unter Wirtschaftskrise und Inflation - Hoffnungslosigkeit und Frust machen sich breit, insbesondere bei Jugendlichen. So wie bei dem 27-jährige Shayan, der Chemie studiert hat und nun als Taxifahrer sein Auslangen findet.
Mit seiner Freundin könne er nicht zusammenziehen, „geschweige denn heiraten“, weil sie sich keine Wohnung leisten könnten. Auch zum Auswandern fehle das Geld. „Deshalb demonstrieren wir, auch bis zum bitteren oder, Inschallah (so Gott will), süßen Ende.“ Der junge Chemiker und seine Freundin wissen, dass sie bei den Protesten verhaftet oder sogar getötet werden könnten - Angst vor den Sicherheitskräften haben sie aber nicht. „Wir haben nichts zu verlieren“, sagt Shayan.
Friedensnobelpreisträgerin: Beginn einer nächsten Revolution
Schon in der Vergangenheit waren die Iraner immer wieder auf die Straße gegangen, unter anderem wegen der Wirtschaftskrise. Doch diese Proteste sind nach Ansicht von Experten anders. Sie hätten „breite Teile der Bevölkerung erreicht“, sagt Cornelius Adebahr, Iran-Experte und Analyst bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Menschen in Städten und Provinzen sowie verschiedener gesellschaftlicher Schichten seien involviert. Die im Exil lebende iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi drückt es im Deutschlandfunk so aus: „Wenn von der Enkelin bis zur Großmutter alle unzufrieden sind und das nicht nur in einer Stadt, sondern in 100 Städten, muss man davon überzeugt sein, dass das der Beginn einer nächsten Revolution im Iran ist.“
Junge Frauen wollen nicht als Hausfrauen enden
Junge Frauen stehen dabei an vorderster Front: „Es ist in der Tat eine Frauenbewegung und wir (Männer) unterstützen sie de facto nur“, sagt der Student Bijan. Aber auch Schulmädchen - und ihre Mütter - beteiligen sich aktiv an den Protesten. „Kopftuch ist doof, Schule ist auch doof, denn der Mist, der in unseren Büchern steht, wird uns in Zukunft nichts nützen“, so die 16-jährige Tanas. Sie wolle nicht so enden wie ihre Mutter, die zu Hause nur koche und putze. „Ich will aus meinem Leben etwas machen, aber mit Islam und den Mullahs geht das nicht.“ So begründet sie ihre Teilnahme an den Demonstrationen.
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