Noch nie war die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik so groß. Ein demokratiepolitisches Debakel? Nein, sagen Experten, das Problem sei „nur“ die Regierung.
Ein Armutszeugnis: 82 Prozent der Österreicher sind unzufrieden oder verärgert über die Politik. Sind wir politikverdrossen? Interessiert es uns einfach nicht mehr? Nein, sagen Politologen. „Proteste wie Fridays for Future oder die Corona-Maßnahmen-Demos, was auch immer man davon halten mag, zeigen, dass die Leute politisch interessiert sind“, sagt Politologin Barbara Prainsack.
„Spezifische Unzufriedenheit mit der jetzigen Regierung“
„Das Vertrauen in die Demokratie ist stabil. Was wir haben, ist eine spezifische Unzufriedenheit mit der jetzigen Regierung, die eine Zustimmung von unter 30 Prozent hat. Das haben wir in den letzten 70 Jahren noch nie erlebt“, erklärt Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik. Die Gründe dafür liegen laut den Experten in den Krisen. „In Krisenzeiten, wenn es den Leuten schlechter geht, ist die Unzufriedenheit immer größer. Doch die Corona-Maßnahmen waren weder effektiv noch populär, dafür sehr teuer“, sagt Ennser-Jedenastik.
In Krisenzeiten, wenn es den Leuten schlechter geht, ist die Unzufriedenheit immer größer.
Laurenz Ennser-Jedenastik, Politologe
„Die meisten spüren, dass es Veränderung braucht“
Alternativen zur Regierung sind keine in Sicht: „Die FPÖ ist keine Protest-Partei mehr, sie ist schon lange Teil des Establishments. Die MFG wird als Partei wahrgenommen, die überall dagegen ist. Beim Brexit haben wir gesehen, was passiert, wenn Populisten der Bevölkerung versprechen, dass mit nationaler Isolationspolitik alles besser wird - für die meisten Menschen ist es aber schlechter, nicht besser geworden“, ist Prainsack überzeugt. Sie würde sich wünschen, dass die etablierten Parteien neue Versionen entwickeln, wie man eine gerechte Gesellschaft mit Klima- und Umweltschutz verbinden kann.
„Die Leute sind ja nicht dumm, sie wissen, dass es mit einer Energiepreisbremse nicht getan ist. Die meisten spüren, dass es eine tiefe Veränderung braucht, was die ganze Gesellschaft betrifft: Wie können wir unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft so gestalten, dass sie die Menschen nicht krankmacht und den Planeten nicht zerstört? Es gibt diese Zeichen dafür, dass man die Gesellschaft neu organisieren muss. Das bietet keine Partei an.“
Die Leute sind ja nicht dumm, sie wissen, dass es mit einer Energiepreisbremse nicht getan ist.
Barbara Prainsack, Politologin
Ennser-Jedenastik ortet zudem ein Personal-Problem bei den Parteien: „Es gibt einen starken Rückgang in der Parteimitgliedschaft und immer mehr Quereinsteiger, wie Pamela Rendi-Wagner. Auch die Amtsdauer der Minister ist zurückgegangen. Es ist auch nicht immer besonders angenehm, in der Politik zu sein, man denke an den Gesundheitsminister in der Pandemie.“ Experten-Fazit: Die Regierung kann heimgehen, die Österreicher wollen Alternativen, Mut, echte Lösungen.
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