Kultstar in Wien

Midge Ure: „Wien ist eine unvergleichliche Stadt“

Wien
27.10.2022 06:01

Er sollte Sänger der Sex Pistols werden, war gut mit Thin-Lizzy-Frontmann Phil Lynott befreundet, schrieb mit Bob Geldof den Band-Aid-Hit „Do They Know It‘s Christmas?“ und schrieb mit Visage, Ultravox und als Solokünstler gleich dreifach Pop-Geschichte. Nun kommt Kultsänger Midge Ure live in die Wiener Szene - und wir haben mit ihm über seine einzigartige Karriere gesprochen.

„Krone“: Midge, im Zuge deiner „Voice And Visions“-Tour kommst du nun auch in die Wiener Szene. Es wird eine Mischung aus vielen Hits deiner Visage-, Ultravox- und Solokarriere. Ist es schwierig, eine Setlist für eine Tour zusammenzustellen?
Midge Ure:
 Diese Tour sollte direkt der „1980“-Tour folgen, die ich 2019 begann und wo ich das gesamte „Vienna“-Album von Ultravox spielte. Auch Songs des ersten Visage-Albums waren dabei, die hatte ich vorher noch nie gespielt. Es war eine schöne Zeit, aber durch die Pandemie konnte ich diese neue Tour nicht sofort nachschießen. Der Plan war, die Ultravox-Alben „Rage In Eden“ (1981) und „Quartet“ (1982) zu zelebrieren, doch nun, drei Jahre später, war ich mir nicht sicher, ob das noch klappt. Aber glücklicherweise macht es mir und dem Publikum Spaß.

Ein gutes Zeichen, dass die Songs den „Test Of Time“ bestanden haben und die Menschen die Hits von Ultravox von vor mehr als 40 Jahren noch immer bedingungslos lieben …
Diese Songs sind ein Teil des Lebens vieler Menschen. Andererseits habe ich heute aber teilweise ein völlig anderes Publikum als früher. Es sind nicht nur Leute von früher da, sondern auch jüngere Menschen, die Ultravox über die Jahre entdeckt haben und die Band niemals live sahen. Für die älteren Besucher geht es um Nostalgie, die jüngeren entdecken aber etwas Neues. Das Alte hat Bestand. Wenn du jüngere Gitarristen fragst, wer ihre großen Helden sind, sagen sie Jimmy Page oder Jimi Hendrix, obwohl sie diese Musiker nie gesehen haben und nie sehen werden. Dass Ultravox mehr als 30 Jahre nach ihrem Ende noch immer so gern gesehen werden, ist natürlich sehr schön.

Würdest du dich selbst als Nostalgiker bezeichnen? Als jemand, der Jubiläen, wie eben diese Alben, mit großer Freude zelebriert?
Es ist immer wieder schön, sich auf die alten Zeiten zu berufen, aber man ist auch eine ganz andere Person als früher. Diese Zeitreisen zeigen mir auf, dass nicht immer alles geglänzt hat und locker war. Aber auch, dass wir mit sehr basischem Equipment auskommen mussten und die Schreib- und Aufnahmeprozesse ganz anders waren als heute. Wir haben Songs geschrieben, als wir in unseren Zwanzigern waren und damit kann ich mich heute nicht mehr identifizieren. Es ist ein bisschen wie mit Hip-Hop oder Rap - ich verstehe diese Genres genausowenig wie manche Songs, die wir damals gemacht haben. Das ist aber okay, denn jede Musik hat ihre Generation. Freude und Schmerz halten sich bei nostalgischen Ausflügen in etwa die Waage.

Hast du vor Ultravox erst deinen Stil finden müssen? Es gab die Teenpop-Band Slik, es gab Visage, aber du warst auch an Thin Lizzys „Black Rose“-Album beteiligt, weil ihr gut befreundet wart ...
Es war sicher ein Findungsprozess. 1978 habe ich mir das erste Mal einen Synthesizer gekauft und ihn bei der Band Rich Kids eingeführt - die waren bis dahin eine Gitarrenband, aber das hat sich natürlich geändert. Ich wollte unbedingt Synthesizer mit dem üblichen Rock-Setup verknüpfen. Ich wollte etwas Neues kreieren und über Visage bin ich dann 1979 zu Ultravox gekommen, die zu dieser Zeit bereits viel experimentierten und genau die Instrumente verknüpften, die auch ich verwendete. Es hat sich für mich richtig angefühlt, auch wenn damals alles andere danebenging. Der Plattenvertrag wurde aufgelöst, Sänger und Gitarrist haben die Band verlassen und das Projekt war komplett steuerlos. Aber das war mir alles egal, denn ich trat einer Band bei, deren Mitglieder meine Interessen teilten und die etwas Interessantes und Neues erschaffen wollten. Dass wir dann auch noch kommerziellen Erfolg damit hatten, das war ein Bonus.

Eine lustige Fußnote der Geschichte ist, dass dich Malcolm McLaren 1975 als Sänger und Gitarrist der Casting-Punkband Sex Pistols integrieren wollte, du aber wegen Slik abgesagt hast. Hast du dir jemals überlegt, wie dein Leben aussehen würde, wärst du heute die Punk-Ikone anstatt Johnny Rotten?
(lacht) Das wäre doch ein Desaster. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich habe mir das Pistols-Drama im TV gestreamt und es fängt ganz gut die Zeit ein, zu der diese Band damals unter den gegebenen Umständen agierte. Niemand von den Pistols konnte spielen, aber sie hatten eine Attitüde und viel Drive. Malcolm hatte das Gefühl dafür, die richtigen Charaktere zu versammeln und daraus etwas zu machen. Ich hätte da nie reingepasst. Ich hätte gewollt, dass sie die Gitarren stimmen und musikalisch besser werden. (lacht) Das war aber nicht der Anspruch der Pistols.

Hast du jemals mit Johnny Rotten darüber geredet? Das Was-wäre-wenn-Spiel gespielt?
Nicht wirklich. Es gab in der Band sehr viel Rivalität und Reibung. Vor allem zwischen den Sex Pistols und Glen Matlock. Ich habe die Jungs alle öfter getroffen und sie waren immer sehr nett zu mir, ihr Problem lag bei Glen. Er war einfach zu musikalisch und hat ihnen zeigen wollen, wie man die Instrumente richtig spielt. (lacht) Ich war vor ein paar Jahren zu Gast in Steve Jones‘ großer Radioshow in Los Angeles und habe sehr lange über alles geredet. Wir haben auch über diese Periode gesprochen, als McLaren mich in Augenschein nahm, aber keiner der Pistols-Mitglieder wusste, welche Rolle er spielen sollte. Sänger? Gitarrist? Drummer? Das war im Prinzip egal. Es ging nur um das Image und die Attitüde. Malcolm hat niemanden gefragt, ob er Musiker wäre. Das Konzept war, sich gut zu vermarkten und Vivienne Westwoods Kleidung zu verkaufen, die damals getragen und ausgestellt wurde. Johnny Rotten war der perfekte Frontmann für diese empörende und anarchische Truppe.

Würdest du sagen, dass Ultravox in der Retrospektive die wichtigste Band des gesamten New-Wave-Genres waren?
Das ist eine freche Annahme. Ich würde sagen, dass Ultravox erst mit Jahren an Gewicht und Wichtigkeit dazugewannen. Wir waren für die Leute anfangs zu experimentell und zu modisch. Wir haben viel mit Videos und Grafiken experimentiert, was damals unüblich war. Auch die Bühnenausstattung war uns wichtig und all das wirkte auf die Menschen sehr pompös. Heute kann ich aber behaupten, hätte es Ultravox nicht gegeben, wäre die Musikwelt im Kleinen sicher in eine leicht andere Richtung gegangen. Viele Künstler wurden zu riesigen Weltstars, die möglicherweise Ultravox als Einfluss auf ihre Kunst bezeichnen. Viele Re-Releases der Ultravox-Platten verkauften sich heute besser als vor 40 Jahren. (lacht) Das ist irgendwie verrückt.

Der Song „Vienna“ vom gleichnamigen Hit-Album aus 1980 spiegelt gut wider, dass Ultravox ein bisschen mehr waren als nur eine Synthie-New-Wave-Band. Das dramatische Piano, das Geigensolo, das vielschichtige Arrangement - es hat sich einfach sehr viel getan. Wart ihr stark von Klassik beeinflusst?
Unser Keyboarder Billy Currie war ein klassisch ausgebildeter Geiger und hat uns dahingehend viel bei- und nähergebracht. Vieles von dem mitteleuropäischen, klassischen Einfluss ist in seinem musikalischen Background zu verorten. Ultravox war eine Kombination aus Billys Klassik-Background, meiner Pop-Sensibilität und dem Rock- und Punk-Verständnis unseres Bassisten Chris Cross. Diese Mischung hat zu „Vienna“ und anderen Songs geführt. Billy hatte eine genaue Vorstellung der Akkordstrukturen und ich habe mein schottisches Melodieverständnis dazugegeben. „Vienna“ ist das perfekte Beispiel dafür, dass vier Menschen ihre Einflüsse bündelten, um ein Stück Musik zu erzeugen. Kein Detail, kein Geigen-, Schlagzeug- oder Synthie-Klang dürfte fehlen, denn sonst würde der Song nicht mehr funktionieren. Vier Menschen haben frei miteinander experimentiert, sich zugehört und sind aufeinander eingegangen. Der Song war nie für kommerzielle Erfolge ausgerichtet. Geigensolo, Überlänge, unterschiedliche Arrangements - damit hat man normal keinen Erfolg. 1979 waren wir einfach nur glücklich darüber, in einem Raum zu sein und miteinander zu musizieren.

Du hast in mehreren Interviews betont, dass du vor Erscheinen des Songs gar nie in Wien warst. Dann habt ihr noch ein Video dazu gedreht, dass halb in London und halb in Wien, unter anderem am Zentralfriedhof, gefertigt wurde. Mit relativ wenig Budget.
Wenig? Mit absolut gar keinem Budget. (lacht) Das gesamte Album haben wir in drei Wochen aufgenommen und gemischt. Wir hatten kaum Geld, um überhaupt das Video zu machen, denn das Label dachte nicht, dass ein Video die Verkaufszahlen erhöhen würde. Wir mussten also darum kämpfen, dass wir nicht lose Szenen aneinanderstapeln, sondern eine Art qualitätsvollen Kurzfilm machen. Wir mussten uns viel Geld dafür ausborgen, denn Videos zu machen war damals eher unüblich. Uns war aber klar, dass wir unsere Visionen umsetzen wollten. Wir hatten immer die volle Kontrolle über die Videos, die Grafiken, das Artwork und alles Drumherum - es war uns immer wichtig, alles selbst zu entscheiden, damit das Label es bewerben könnte. Das war damals alles andere als selbstverständlich in der Pop-Welt.

Wenn du immer wieder für Konzerte nach Wien zurückkehrst, wirst du dann auch stets an diese Phase deines Lebens erinnert? Weckt das nostalgische „Vienna“-Gefühle in dir?
Ich war schon sehr oft in Wien und ich finde die Stadt fantastisch. Ich verfolge immer die Votings, wo Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wird und ich kann nur zustimmen. Es gibt nur wenige Städte auf der Welt, die du sofort erkennst, wenn du deinen Kopf aus dem Fenster steckst und eine Runde durch die Gegend schaust. Venedig ist so eine Stadt, auch Paris und natürlich Wien. Sie ist unvergleichlich. Ich freue mich immer auf ein Comeback in Wien.

Wie hat sich denn die Chemie bei Ultravox zwischen den Alben „Vienna“, „Rage In Eden“ und „Quartet“ entwickelt?
Wir sind an den Herausforderungen gewachsen und haben immer weiterexperimentiert. Nach dem Erfolg von „Vienna“ hätten wir auch einfach so weitermachen können, aber das war niemals ein Thema für uns. „Vienna“ Teil zwei zu fertigen wäre total langweilig gewesen. Wir sind lieber komplett ohne Songs in das Studio von Conny Plank nach Deutschland gefahren, um dort dann aus dem Nichts in drei Monaten „Rage In Eden“ zu erschaffen. Conny war ein Avantgarde-Techniker, der gerne experimentiert hat. Für „Quartet“ sind wir zu George Martin gegangen, der das genaue Gegenteil von Plank war. Er hat seine Hände stark auf die musikalischen Arrangements gehalten, was wiederum ein interessanter neuer Zugang für uns war. „Rage In Eden“ war vielleicht unser bestes Album. Wir wussten, dass uns „Vienna“ die Freiheit des Experimentierens geschaffen hat und dass wir die Chance hatten, unseren Visionen kompromisslos zu folgen. Wir haben diese Freiheit total ausgenutzt. Das war damals sehr teuer, aber unsere Position hat uns das erlaubt.

Ultravox hatten offenbar immer etwas höhere Standards an Musik als etwa Depeche Mode oder Duran Duran, wo der Hit-Charakter oft wichtiger schien als das Experimentelle …
Das kann ich unmöglich beurteilen und das wäre anderen gegenüber auch nicht fair. Wir hatten persönlich hohe Standards, um interessante Songs zu schreiben. Wir wollten immer besser und anders sein und das hat sich bis heute nicht verändert. Wichtig war mir immer, dass ich nach einer Veröffentlichung eines Songs glücklich damit bin. Das hält vielleicht nicht bis zu meinem Lebensende an, aber zu dem jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung muss ich damit zufrieden sein. Ich muss das Beste aus mir herausgeholt haben. Ich habe mich nie unter Druck setzen lassen oder aus kommerziellen Gründen auf Dance-Remixes oder Hip-Hop-Versionen meiner Songs gesetzt. Je mehr Musik du schreibst, umso schwieriger wird es, besser zu werden, aber ich habe es immer probiert. In jeder Band und auch solo.

Das alte Label Chrysalis Records hat unlängst „Rage In Eden“ wiederveröffentlicht und im Boxset eine Liveshow aus dem Smithsonian 1981 beigelegt. Normalerweise höre ich mir meine eigene Musik nicht an, da war es aber unumgänglich und es klang wirklich sehr gut. Ich habe ganz vergessen, wie gut und kräftig Ultravox früher als Liveband waren. Die Punk-Attitüde von 1976 haben wir mitgenommen. Es war aber kein klassischer Trash-Punk, sondern unsere Version davon. Eine Mischung aus allen Instrumen, die wir in die Hand bekamen, vermischt mit einer DIY-Attitüde. Die Aggression, die Arroganz und die Kraft der Bühnenshow hatten wir schon immer und das war auch wichtig für unseren Erfolg.

Warst du neben Chris der zweite richtige Rocker in der Band? Immerhin bist du mit der Gitarre groß geworden und hattest die angesprochene Thin-Lizzy-Schlagseite.
Die ersten Alben vor mir, „Ultravox!“ und „Ha!-Ha!-Ha!“, waren sehr trashig und voller Punk. Ich glaube nicht, dass ich das Rockelement in die Band brachte, aber ich habe einen neuen Gitarrensound und eine neue Art von Power mitgebracht. Aber wir haben uns damals gegenseitig gefüttert und inspiriert. Als wir das allererste Mal zusammen im Proberaum waren und unsere Instrumente einstöpselten, um zu sehen, ob wir harmonieren, war das einer der magischsten und aufregendsten Momente in unseren Leben. Diese Kombination aus den Synthies, den schweren Gitarren und den Rock-Arrangements war ganz etwas ganz Besonderes. Tangerine Dream wären sicher auch stolz darauf gewesen. Es war unglaublich aufregend.

1984 hast du mit Bob Geldof den Welthit „Do They Know It’s Christmas?“ für Band Aid geschrieben und damit einen weiteren Meilenstein erreicht. Du bist ja noch immer Teil des Band-Aid-Trust, der bis heute existiert. Wo gehen die Einnahmen denn aktuell hin?
Bevor wir überhaupt damit an die Öffentlichkeit gingen, haben wir uns Rat bei George Harrison geholt, der ein ähnliches Projekt ein paar Jahre früher für Bangladesch in die Hände nahm und schon etwas Erfahrung hatte. Er hat gesagt, wir bräuchten gute Buchhalter und Anwälte, also haben wir den Band-Aid-Trust mit vielen Leuten aus der Musikindustrie ins Leben gerufen. Promoter, Anwälte und Musiker waren daran beteiligt. Viele von diesen Menschen sind heute nicht mehr am Leben, aber alle anderen noch immer Teil dieses Fonds. Alle Einnahmen und Tantiemen des Songs gehen noch immer an karitative Projekte. Derzeit unterstützen wir Somalia sehr stark, weil dort viele Probleme herrschen. Wir unterstützen afrikanische Kriegsgebiete und wollen Dinge damit verändern. Das Projekt begann vor 38 Jahren und seitdem unterstützen wir Projekte mit unterschiedlichsten NGOs. Wir haben für die Infrastruktur gesorgt und den Band-Aid-Trust etabliert. Er wird noch lange nach dem Ableben von Bob und mir bestehen bleiben, das ist das Wichtigste.

Die Welt heute ist ein in vielfacher Hinsicht schwieriger Ort. Bräuchte es jüngere Musiker und Bands, die mit ähnlichen Aktionen für Hilfe und Unterstützung sorgen? Braucht es ein modernes Band-Aid?
Man darf Künstler da nicht einfach in die Verantwortung nehmen, weil es an jedem selbst liegt, ob er helfen oder ein Statement setzen möchte. Druck auszuüben hilft nichts und Musik ist heute auch nicht mehr das Medium, das es damals war. 1984 und 1985 war Musik alles. Es gab damals kein Internet, keine Streaming-Portale und keine Smartphones. Die Wertigkeit von Musik war eine andere und sie war das richtige Vehikel für das ganze Projekt. Heute ist die gesamte Welt ein Platz des absoluten Chaos und niemand von uns konnte damals damit rechnen, dass es so werden würde. Es ist immer toll, wenn junge Leute mit Musik helfen wollen, aber Alben und Konzerte machen heute nicht mehr diesen Unterschied, den sie damals machten. Die Musikindustrie befindet sich im freien Fall und jeder, der auf Tour ist und nicht Depeche Mode, U2 oder Beyoncé heißt, schreibt im Prinzip Verluste. Die Kosten für das Touren haben sich verdoppelt, die Gagen aber nicht. Meine „Voice And Visions“-Tour war für 2019 konzipiert. Drei Jahre später findet sie statt, aber sie kostet weit mehr und weniger Leute kommen aus unterschiedlichen Gründen zu den Konzerten - meine Gage hat sich auch nicht erhöht. Ich fühle mich aber den Leuten verpflichtet und ziehe die Tour durch. Es geht da nicht um mich, sondern allen gleich. Die Leute können sich nicht mehr so viel Vergnügen leisten und es wird interessant zu sehen, was die Zukunft bringt. Die Welt heute ist eine komplett andere.

Hast du schon aktiv überlegt, das Touren zu beenden, weil es sich einfach nicht mehr rentiert?
Natürlich überlegt und diskutiert man auch in diese Richtung, alles andere wäre gelogen. Selbst Menschen, die schon Karten gekauft haben, kommen oft nicht. Sie vergessen das Ersatzdatum oder haben ihre Tickets verschmissen. Es herrscht gerade allgemein großes Chaos. Viele US-Künstler und -Bands sagen ihre komplette Europa-Tourneen ab, weil die Kosten die Einnahmen kräftig überwiegen. Es ist für mich auch nachvollziehbar, denn niemand will bei der Arbeit draufzahlen. Die gesamte Unterhaltungsindustrie, nicht nur die Musik, kämpft gegen die Querelen der Gegenwart an. Auch ich muss mir überlegen, ob ich nicht als One-Man-Show mit Gitarre und kleinem Verstärker toure, weil es sich sonst nicht mehr ausgeht. (lacht) Ich bin mein ganzes Leben lang unterwegs und es war oft schwierig, aber die gegenwärtige Situation ist unglaublich.

Was bedeutet dir Erfolg? Wie würdest du ihn definieren?
Darüber habe ich über die Jahre viel nachgedacht. Kommerzieller Erfolg ist nicht der entscheidende Punkt. Er hilft dir, um weiterzumachen und deine Ideen umzusetzen, aber er sorgt nicht für Glück und Zufriedenheit. Auch der Applaus ist schön, aber nicht entscheidend. Wenn meine Kinder sich einmal meine Musik anhören und sagen, dass das absolut das Maximum von dem war, was für mich möglich gewesen ist, dann bin ich glücklich. Wenn alles gut durchdacht und schön zusammengestellt war. Wenn meine Kinder stolz auf mich sind, dann habe ich ein Vermächtnis hinterlassen. Ich kann nicht kontrollieren, was die Menschen da draußen denken. Bin ich ein Genie oder ein Idiot? Irgendwas dazwischen? Man kann Dinge nicht steuern. Das beste Beispiel ist der Song „Breathe“ aus meiner Solokarriere. Er kam 1996 raus und niemand interessierte sich dafür. Er verschwand quasi in der Versenkung, die Radios ignorierten ihn. Zwei Jahre später hat die Uhrenmanufaktur „Swatch“ ihn für eine Werbung verwendet und plötzlich haben die Leute ihn als genial betrachtet. Es war derselbe Song, überhaupt nicht umgestaltet oder verändert - aber es war ein anderer Kontext und ein anderer Zeitpunkt. Das spiegelt gut wider, wie wenig man seine Karriere im Leben selbst steuern kann. Ich kann nur etwas machen, das ich interessant finde. Der Rest liegt nicht in meiner Hand.

Wie schaut es bei dir in Zukunft aus? Wird es ein neues Soloalbum geben? Oder zehn Jahre nach dem Comebackwerk gar noch etwas von Ultravox?
Die Leute kaufen keine Alben mehr, also muss man sich überlegen, ob das Sinn macht. Früher ist man auf Tour gegangen, um sein Album zu verkaufen. Heute macht man Alben, um einen Grund für eine neue Tour zu haben. (lacht) Schon verrückt, wie sich die Welt in wenigen Jahren gedreht hat. Ich habe aber mein eigenes Studio und kann Musik machen, wann immer ich will. Ich habe ein Instrumentalalbum fertiggestellt, weil ich das schon immer machen wollte - dieses Album kommt definitiv. Ein klassisches Soloalbum kommt sicher auch - früher oder später. Mit Ultravox habe ich überhaupt keine Pläne. Unlängst erst hat mich mein amerikanischer Agent angerufen, um mir eine Wagenladung Telefonnummern zu vermitteln, die ich anrufen sollte. Ein großes Festival in Pasadena bot für Ultravox unheimlich viel Geld, damit wir dort auftreten würden, aber damit kann man uns nicht locken. Ultravox existieren nicht mehr. Ich bin der jüngste in der Band und schon selbst alt. Lassen wir es doch mal gut sein. (lacht)

Aber du weißt selbst ganz genau: sag niemals nie …
Das stimmt. Ich habe schon einmal gesagt „nie wieder“ und dann kamen wir für ein Album und Touren zurück. Komischerweise hat das wirklich gut geklappt und uns allen Spaß gemacht. Es war gut, aber es passt jetzt auch.

Gibt es Songs aus deiner Vergangenheit, die du nicht mehr spielen willst? Die du selbst nicht mehr aushältst?
Die Songs, die ich nicht spielen möchte, die spiele ich einfach nicht. Das kann man sich dann ausrechnen. Mit „If I Was“ habe ich eine sehr bittersüße Beziehung. Der Song war ein Riesenhit und die Leute wollen ihn hören, aber ich bin nicht restlos davon begeistert und manchmal ist es mühsam, ihn zu spielen. Songs sind wie eigene Kinder. Man liebt sie, weil sie einem gehören. Aber manchmal hat man auch temporär die Schnauze voll davon. (lacht)

Live in Wien
Am Freitag, 28. Oktober, spielt Midge Ure ein exklusives Österreich-Konzert in der Wiener Szene. Unter www.oeticket.com und auch an der Abendkassa wird es noch Karten und alle weiteren Infos für das Herbst-Highlight geben.

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