Putins Drohgebärden
Was nukleare Eskalation für Ukraine bedeuten würde
Was drei Jahrzehnte lang undenkbar war, wurde durch die Kriegsrhetorik Wladimir Putins in den Augen der Europäer plötzlich wieder zur realen Gefahr: Der russische Präsident drohte zuletzt in seinem festgefahrenen Eroberungsfeldzug gegen die Ukraine wiederholt mit dem Einsatz von Kernwaffen. Man werde alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen - notfalls auch taktische Nuklearwaffen. Aber welche Folgen hätte ein Atomwaffenangriff auf die Ukraine für Europa? Ein Gedankenspiel.
Dass Russland im Ukraine-Krieg seine Atomwaffen einsetzen könnte, wird von Experten nicht ausgeschlossen. Denn laut Angaben Putins werde Russland von allen „zur Verfügung stehenden Waffensystemen Gebrauch machen“, um die vier annektierten Gebiete Luhansk, Cherson, Saporischschja und Donezk zu verteidigen. Das Areal steht laut Angaben von Kremlsprecher Dmitri Peskow von nun an unter dem atomaren Schutzschirm Russlands.
Kreml streut Gerüchte über „schmutzige Bombe“
Zudem streut Russland aktuell Gerüchte, die Ukraine würde zur Diskreditierung Moskaus die Zündung einer radioaktiven Bombe planen. Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe seinem französischen Amtskollegen Sebastien Lecornu „seine Besorgnis über mögliche Provokationen der Ukraine mittels einer ,schmutzigen Bombe‘ übermittelt“, teilte das russische Verteidigungsministerium mit.
Was sind „schmutzige Bomben“?
Bei einer „schmutzigen Bombe“ handelt es sich um einen konventionellen Sprengkörper, der bei seiner Explosion radioaktives Material in der Umgebung verteilt. Im Unterschied zu Atombomben gibt es bei solchen Sprengkörpern keine nukleare Explosion.
Die selbst gestreuten Gerüchte gaben Putin Anlass dazu, seine „strategischen Abschreckungskräfte“ Übungen durchführen zulassen - gemäß offizieller Darstellung, um auf eine Bedrohung durch einen atomaren Angriff reagieren zu können.
Russland hat Tausende nukleare Sprengköpfe
Es besteht kein Zweifel, dass Putin zu einem Atomschlag technisch in der Lage wäre. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (SIPRI) verfügt Russland über 5977 Atomsprengköpfe. Gemeinsam mit den USA (5428) besitzt Russland mehr als 90 Prozent des weltweiten Nukleararsenals, heißt es im SIPRI-Jahrbuch 2022.
Das Bulletin der Atomwissenschaftler schätzt, dass Anfang 2022 der russische Bestand etwa 4477 nukleare Sprengköpfe umfasste, die für den Einsatz auf strategischen Langstreckenraketen und taktischen Atomwaffen mit geringerer Reichweite vorgesehen sind. Zusätzlich gibt es etwa 1500 ausgemusterte, aber noch weitgehend intakte Sprengköpfe.
Wie taktische Kernwaffen eingesetzt werden
Taktische Nuklearwaffen könnten ähnlich wie konventionelle Waffen zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte eingesetzt werden: Sie werden eingesetzt, um am Schlachtfeld einen taktischen Vorteil zu erlangen. Strategische Nuklearwaffen sind im Gegensatz dazu für die vollständige Vernichtung ganzer Landstriche vorgesehen: Hier ist nicht die Vernichtung einer Streitmacht das Ziel, sondern maximaler nuklearer Terror, der den Gegner zur Kapitulation zwingen soll.
Taktische Kernwaffen können mit dem Lkw schnell transportiert und vor Ort abgefeuert werden, wie der Leiter des ABC-Abwehrzentrums des Bundesheeres, Oberst Jürgen Schlechter, unlängst erklärte. Die Bezeichnung „taktisch“ kann allerdings missverstanden werden. Auch taktische Kernwaffen können nämlich „schwerste Zerstörungen anrichten und erhebliche Radioaktivität freisetzen“, so Schlechter. Das Schadensausmaß sei abhängig von der Sprengkraft und der Detonationsart.
Die kleinsten taktischen Atomwaffen haben laut Schlechter eine Sprengkraft von circa 0,3 Kilotonnen (kT) TNT. Es gibt aber auch taktische Nuklearwaffen mit einer Sprengkraft von 200 Kilotonnen. In der Regel besitzen die Waffen jedoch eine Sprengkraft von 1 bis 100 Kilotonnen.
Anhand der Website Nukemap ist es möglich, die verheerenden Auswirkungen von Atomwaffen zu veranschaulichen. Der von dem Wissenschaftler Alex Wellerstein entwickelte Atombomben-Simulator ermittelt auch gleich die Zahl der Todesopfer und berechnet die Fallout-Ausdehnung bei einem Atomschlag. Die Website versteht sich als Mahnmal, zu welch unglaublicher Verwüstung die Menschheit imstande ist.
Diese Folgen hätte ein Kernwaffenangriff in der Ukraine:
So würde der Westen auf Kernwaffen reagieren
Sollte die Regierung in Moskau Atomwaffen in der Ukraine einsetzen, drohen die wichtigsten westlichen Industriestaaten mit gravierenden Konsequenzen. „Wir verurteilen diese Angriffe auf das Schärfste und erinnern daran, dass wahllose Angriffe auf unschuldige Zivilisten ein Kriegsverbrechen darstellen“, heißt es bei einem Online-Meeting der G7-Staats- und Regierungschefs. Es stehe außer Frage, dass Europa und seine Verbündeten auf den Einsatz von Atomwaffen reagieren müssten, sagte eine Sprecherin der EU.
Auch in den USA, die mit Waffenlieferungen und Hilfsgeldern ganz wesentlich zum erbitterten ukrainischen Widerstand gegen Putins Invasionstruppen beitragen, werden die Folgen einer nuklearen Eskalation in der Ukraine intensiv debattiert. Der frühere Vier-Sterne-General und einstige CIA-Direktor David Petraeus sagte in einem Interview mit dem US-Sender ABC, dass die USA auf einen Atomwaffeneinsatz Russlands gegen die Ukraine mit maximaler Härte reagieren würden.
Wir verurteilen diese Angriffe auf das Schärfste und erinnern daran, dass wahllose Angriffe auf unschuldige Zivilisten ein Kriegsverbrechen darstellen.
Die Regierungschefs der G7-Staaten
Man würde „alle konventionellen Streitkräfte Russlands außer Gefecht setzen, die wir sehen und identifizieren können“. Dies beziehe sich auf die russischen Truppen in der Ukraine, einschließlich der Krim. Zudem würde man alle russischen Schiffe im Schwarzen Meer zerstören. Er betonte zwar, dass dies rein hypothetisch sei und er sich mit Jake Sullivan, dem Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, nicht abgesprochen habe. Petraeus führte jedoch an, dass Sullivan öffentlich geäußert habe, wie die Reaktion der USA aussehen würde, sollte Russland sich dazu entschließen, „diesen dunklen Pfad zu beschreiten“.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.