Taxi-Geschichten

Mit zwei Gummifreundinnen auf Wellnessurlaub

Wien
05.11.2022 16:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

„Haben Sie Wien schon bei Nacht geseh’n“ fragte Rainhard Fendrich 1985 und wies dabei auf die atmosphärischen Besonderheiten der Stadt hin. Ein anderer Reinhard, nämlich mein heutiger Uber-Fahrer, kann davon sein eigenes Lied singen. Er sitzt seit 18 Jahren im Taxi und gut zwei Drittel davon fährt er ausschließlich nachts. Auf die Frage, warum er nicht lieber untertags seinem Beruf nachgeht, hat er eine eher unübliche Antwort: „Wegen den Menschen. Tagsüber sind sie immer gestresst. Sie akzeptieren nicht, dass man in einen Stau kommen kann und verlangen Wunderdinge. Und dann fahren meist auch irgendwelche Bonzen nur Kurzstrecken, die sich für mich nicht auszahlen. Davon hatte ich schnell die Nase voll.“

Die völlige Umstellung auf das Nachtfahren vollzog Reinhard noch als Single, Mittlerweile ist er zweifacher Familienvater von schulpflichtigen Kindern, was die Angelegenheit natürlich etwas komplizierter gestaltet. „Ich müsste lügen, würde ich behaupten, es sei immer einfach. Meist fahre ich um 21 Uhr los, wenn die Kinder im Bett sind, und komme dann gegen 6 Uhr früh nach Hause. Meine Frau unterstützt mich tagsüber zum Glück gut.“ Reinhard kommt mit knapp sechs Stunden Schlaf pro Tag aus und hat so zumindest immer die Nachmittage mit seinen Kleinen. „Das Gute an diesem Beruf ist, dass keiner mit der Stoppuhr hinter mir steht und ich mir die Zeit relativ frei einteilen kann. Am Ende obliegt es ja mir, wie viel Umsatz ich mache.“

Reinhard fährt mich kurz nach einer aufregenden Halloween-Nacht an der Roßauer Lände entlang und schwärmt vom monetär lohnenswerten Dienst. „Für uns Taxler sind Halloween und Silvester die wichtigsten Nächte des Jahres. Zu Halloween bin ich fast 14 Stunden gefahren und hatte keine Sekunde Pause. Natürlich macht dich das komplett fertig, aber die Einnahmen aus dieser Nacht hast du sonst nie.“ In fast eineinhalb Dekaden Nachtschicht hat Reinhard natürlich Dinge erlebt, die sich ein Durchschnittsbürger nur schwer vorstellen kann. „Immer, wenn ich glaube, ich habe jetzt den Gipfel der Absurdität erlebt, kommt wie aus dem Nichts die nächste arge Aktion“, lacht er. An ein Ereignis mit schlüpfrigem Hintergrund erinnert sich der Wiener besonders gut.

„Ich bekam einen Anruf von einem Puff aus der Burggasse und sollte einen Mann abholen. Der kam raus und hatte links und rechts zwei Gummipuppen in der Hand. Die eine kaputt, die andere triefte nur so vor Wasser.“ Lebhaft erinnert sich Reinhard an das Ereignis zurück als wäre es gestern gewesen. Er kommt kaum aus dem Lachen raus. „Ich frage ihn, ob er damit einsteigen will und dass die Puppe dafür zu nass wäre. Er hat sie dann zusammengefaltet und in seinem Rucksack verstaut. Nachdem wir uns ein bisschen länger unterhalten haben meinte er, das wären seine zwei Lebensgefährtinnen und er war mit ihnen auf Wellness, weil es in dem Puff Whirlpools gibt. Frauen aus Fleisch und Blut wären ihm völlig egal. Und das Ärgste war: er hat mich angeschaut und sich gefragt, was mit mir nicht stimmt. Unglaublich.“

Reinhard zückt die Anekdoten wie einen Revolver aus dem Halfter. Unsere Fahrt ist viel zu kurz, um all die sonderbaren und einzigartigen Erlebnisse bereden und verarbeiten zu können. Deutlich merkbar konzentriert er sich bewusst auf die humorigen Erlebnisse. „Man erlebt in Nachtschichten viel Schlimmes und Dinge, die man am liebsten verdrängen würde“, wird er für einen ganz kurzen Moment ernst, „aber was mir selbst nicht gefällt, das muss ich nicht dringend weitererzählen.“ Kurz bevor er mich an der Zieladresse absetzt, bereitet er sich auf eine längere Pause in dieser noch jungen Nacht vor. „Halloween und ein normaler Tag unter der Woche, das ist wie Äpfel und Birnen. Ich werde mich jetzt wieder aufs Ohr hauen und hoffe, dass noch irgendein Besoffener heim muss.“

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