Drastische Vorwürfe im Mega-Drogenprozess um den Handel mit Captagon-Pillen. Der Salzburger Anwalt Kurt Jelinek kämpft gegen die erstinstanzlichen Verurteilungen seiner Mandanten zu langjährigen Haftstrafen und erhebt heftige Vorwürfe: Kriminalisten sollen Akten manipuliert und der Kronzeuge Jelineks Mandanten unrechtmäßig zu einem Geständnis verlockt haben. Außerdem steht der Verdacht im Raum, dass der Hinweis, der zur Einleitung des Verfahrens geführt hat, nur inszeniert sein könnte.
Der Schriftsatz, der am Donnerstagmorgen in das digitale Postfach des Obersten Gerichthofs flatterte, lässt die Ermittlungsbehörden in keinem guten Licht erscheinen. Rechtsanwalt Kurt Jelinek erhob beim Höchstgericht Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung im Captagon-Fall. Das Dokument liest sich wie eine Anklage zur Arbeit der Ermittlungsbehörden. Der Vorwurf: Die Ermittler des Landeskriminalamts sollen den Kronzeugen, dessen Aussagen für die Verurteilung maßgeblich waren, bereits 2018 gut gekannt haben. Vielmehr soll er sogar als Vertrauensperson verdeckt für die Polizei gearbeitet haben. Das ergibt sich für den Anwalt aus mehreren Indizien. Die Ermittler wollen aber laut Akt erstmals im Jahr 2020 mit dem Kronzeugen gesprochen haben.
Viele Pannen im Mega-Prozess
Außerdem kritisiert der Anwalt, dass dem ersten Hinweis - einem Schreiben der US-Drogenbehörde DEA - nicht näher nachgegangen wurde, obwohl einer der Ermittler bereits verurteilt wurde, weil er in einem anderen Fall ein ähnliches Schreiben, angeblich von der bosnischen Polizei, erfunden haben soll. Der Anwalt schlägt damit ein neues Kapitel in einem Strafverfahren auf, das schon bisher von Pannen flankiert war. Wie berichtet kam zunächst auf, dass der Kronzeuge ein Verhältnis zur Dolmetscherin hatte. Nun wurde vor wenigen Tagen bekannt, dass sämtliche Aufzeichnungen zur Telefonüberwachung "irrtümlich" gelöscht wurden.
Im Captagon-Verfahren geht es kurz gesagt um eine libanesisch-österreichische Familie, die von einer Bürmooser Pizzeria aus den internationalen Handel mit 13,8 Millionen Captagon-Tabletten im Wert von 40 Millionen Euro betrieben haben soll. In dem Mega-Prozess wurden am 21. März acht Menschen wegen Suchtgifthandels zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Erschlich Polizeispitzel Geständnisse?
Der Verdacht: Der Kronzeuge soll als Agent Provocateur für das LKA gearbeitet haben, was die Strafprozessordnung verbietet. Der Mann soll die damals Verdächtigen in Telefonaten zu Geständnissen verleitet haben. Das bedroht die Strafprozessordnung mit Nichtigkeit,. Die Regelung gilt auch für V-Männer und Polizeispitzel.
Es ist unzulässig, Personen zur Begehung von strafbaren Handlungen in einer dem Grundsatz des fairen Verfahrens widerstreitenden Weise zu verleiten, oder durch heimlich bestellte Personen zu einem Geständnis zu verlocken.
Paragraf 5, Absatz 3 der Strafprozessordnung
Manipulierten Kriminalisten die Akten, um ihren V-Mann zu verheimlichen?
Anwalt Jelinek wollte den betreffenden Ermittler dazu im Prozess befragen. Das Gericht lehnte ab. Dabei ist der leitende Beamte des Ermittlungsbereiches 9 im Salzburger Landeskriminalamt ganz und gar kein Unbekannter. Der Kriminalist wurde erst kürzlich wegen falscher Beurkundung und Beglaubigung im Amt verurteilt, weil er in einem Bericht an die Staatsanwaltschaft bewusst einen V-Mann verschwieg. Dazu soll er ein offizielles Schreiben der bosnischen Polizei erfunden haben, um zu verschleiern, woher die Verdachtslage gegen eine später angeklagte Person tatsächlich stammt. Außerdem schienen laut dem Anwalt Methoden um den unzulässigen Einsatz von Polizeispitzeln zu verschleiern, im Landeskriminalamt zumindest zu Beginn des Ermittlungsverfahrens im Captagon-Fall üblich gewesen zu sein. Das legt die Verurteilung eines ehemaligen Abteilungsinspektors nahe, der jüngst wegen 16-fachen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde, weil er die Tätigkeit von Vertrauenspersonen systematisch verschleiert haben soll. Der Beamte machte auf diese Art und Weise immer wieder imposante Suchtgiftfunde.
102.000 Euro an Steuergeld konnte ein Krimineller Ende 2015 einem verdeckten Ermittler bei einem Drogen-Scheingeschäft abluchsen. Dieser Fall war der Anfang vom Ende einer illustren Karriere als Suchtgift-Ermittler. Beim Prozess ein Jahr später gab der angeklagte Polizist als Zeuge zu, Berichte gefälscht und Inhalte verschleiert zu haben. Anwalt Kurt Jelinek erstattete Strafanzeige. Fünfeinhalb Jahre später folgte die Anklage, die im April 2022 mit einem Schuldspruch endete - wegen 16-fachen Amtsmissbrauchs und zweifacher falscher Beweisaussage. Strafe: 24 Monate teilbedingte Haft, acht davon unbedingte Gefängnisstrafe. Zu Beginn des Captagon-Verfahrens war der Ermittler noch im Landeskriminalamt tätig.
Erster Hinweis für Strafverfahren bloße Inszenierung?
Für möglich hält Jelinek sogar, dass es sich bei dem Schreiben der US-Antidrogenbehörde DEA, das der Anlass der Ermittlungen im Captagon-Fall war, lediglich um eine Inszenierung handelte. Denn: Das Landeskriminalamt sei dem Schreiben - vor allem in Bezug auf die angebliche Quelle - nicht nachgegangen.
Im Hinblick auf diesen, von der Staatsanwaltschaft Salzburg gegen den Ermittler erhobenen Vorwurf kann somit in keiner Weise ausgeschlossen werden, dass es sich auch bei gegenständlichem Schreiben der DEA vom 25.03.2018 in diesem Sinne um eine bloße Inszenierung handelt, zumal hierzu vom LKA Salzburg keinerlei eingehendere Ermittlungen geführt wurden (angeblich erfolgten lediglich einmal Erkundigungen betreffend weitere Telefonnummern.)
Anwalt Jelinek in seiner Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof
Als Beleg für seine These vom manipulierten Ermittlungsakt führt Verteidiger Jelinek in seinem Schriftsatz auch an, dass es ansonsten nicht nachvollziehbar sei, warum gegen den Kronzeugen nie selbst ermittelt wurde. Denn: Eigentlich hätte der Kronzeuge bereits im April 2018 durch die umfangreichen Telefonüberwachungen in den Fokus der Ermittler geraten müssen. Dennoch fand die erste Einvernahme angeblich erst am 23. Juli 2020 statt.
Die offenkundig bewusste Beteiligung des Kronzeugen an diesen, zweifelsfrei hinreichend indizierten großangelegten Manipulationen des Landeskriminalamtes Salzburg im Rahmen des gegenständlichen Ermittlungsverfahrens vermag jedenfalls die Glaubwürdigkeit seiner Angaben insgesamt in Frage zu stellen.
Auszug aus dem Schriftsatz an den Obersten Gerichtshof
Jelinek sieht seine Mandanten, sie fassten erstinstanzlich 6,5 und drei Jahre Haft aus, in ihrem Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt. Er ortet „nachhaltig betriebene Manipulationen" durch die Erstattung offenkundig warheitswidrige Berichte zum erstmaligen Kontakt mit dem Kronzeugen. Außerdem kämpft er mit einer Berufung gegen das Strafmaß, das er für überzogen hält.
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