Zweites Coveralbum

Bruce Springsteen huldigt den Soul- & R&B-Wurzeln

Wien
10.11.2022 06:01

Mit „Only The Strong Survive“ veröffentlicht Bruce Springsteen dieser Tage ein Album, auf dem er der Musik seiner Jugend huldigt. Soul-, R&B- und Motown-Klassiker der 60er- und 70er-Jahre werden von seiner Stimme und einer filigran-warmen Instrumentierung dargeboten. Im Juli 2023 kommt der Boss live ins Wiener Happel-Stadion.

Wer sich schon einmal tief in die 2016 erschienene Autobiografie von Bruce Springsteen gegraben hat, weiß, dass er seine eigene Stimme nicht unbedingt als Stärke sieht. Umso erstaunlicher mutet es an, dass sein mittlerweile 21. Studioalbum ebenjene ins Zentrum des Geschehens stellt - und das gewollt und beabsichtigt. Als er „Only The Strong Survive“ Ende September das erste Mal öffentlich ankündigte, lieferte er gleich ein Statement über die Ausrichtung des neuen Materials mit. „Ich wollte ein Album machen, auf dem ich hauptsächlich singe und dem großen American Songbook der 60er- und 70er-Jahre gerecht werde.“ Der mittlerweile 73-jährige Boss hat sich in den ausklingenden Corona-Monaten tief in die Nostalgie gestürzt und zollt den großen Helden seines Heranwachsens mit diesem Album Tribut. Das ist umso bemerkenswerter, als dass langjährigen Springsteen-Fans und jungen Neuentdeckern damit gewahr gemacht wird, wie ihr Held zum vielleicht wichtigsten lebenden Künstler Amerikas wurde.

Herzblut in der Waagschale
Einen Ausflug in die Cover-Welt wagte Springsteen schon 2006. „We Shall Overcome: The Seeger Sessions“ war eine Hommage an Pete Seeger und den Folk der USA, nun geht es also Richtung Soul und R&B, zwei immens wichtige Stützpfeiler des New-Jersey-Stars, die man vor allem bei seinen ausladenden Konzerten mit seiner E-Street-Band immer wieder schön beobachten und hören durfte. „Mit welcher Musik könnte man besser arbeiten, als mit dem Great American Songbook der 60er- und 70er-Jahre“, stellte er sich selbst eine eher rhetorische Frage, um sie musikalisch zu beantworten. Insgesamt 15 Songs hat Springsteen im Thrill Hill Recording Studio von New Jersey eingespielt und von Produzent Ron Ainello veredeln lassen. Schon von den ersten Klängen des von Jerry Butler geschriebenen Titeltracks an spürt man, hier hat der Boss noch ein bisschen mehr Herzblut als sonst in die Waagschale gelegt.

Besonders eindrucksvoll gelingt das in den sanfteren Momenten wie etwa auf „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“, in dem sich das sanfte Timbre des Interpreten wunderbar über die hymnische Instrumentierung legt. Mit 73 sucht Springsteen nicht mehr nach stimmlichen Höchstleistungen, wenn er sich aber wie im Refrain von „Hey, Western Union Man“ intensiv nach oben schraubt, dann ist man sofort von der Ehrerbietung des Boss ergriffen, die sich respektvoll über die gesamte Albumlänge zieht. Levi Stubbs, David Ruffin, Jimmy Ruffin, Diana Ross, Dobie Gray oder Scott Walker sind Springsteens größte Inspirationsquellen für diese klangliche Wunderreise in eine melodiereiche Vergangenheit. Das wichtigste Vorhaben, die Stimme deutlich über alle Instrumente ragen zu lassen, gelingt zumeist wunderbar. „I Wish It Would Rain“ etwa ist so ein ganz besonderer Moment, in dem man sich von Bruce bis in ferne Sphären tragen lassen kann.

Soul für die junge Generation
Schon in seiner Biografie schreibt Springsteen, dass sein für sich angestrebtes Genre immer „Rock’n’Soul“ gewesen sei und wer bei seinen ausgewählten Konzerten in den letzten Jahren die Live-Versionen von Songs wie „Sweet Soul Music“ erleben durfte, der weiß, dass ihm diese besonders seelenvolle Klanglandschaft mit zunehmendem Alter immer besser zu Gesicht steht. Nebenbei erfüllt der gute Freund von Barack Obama auch wieder einen Bildungsauftrag und ist sich seiner bunten Zuschauerdemografie durchaus bewusst. „Mein Ziel ist es, dass das junge Publikum die Schönheit und Freude dieser Musik erleben kann, so wie ich sie erlebt habe, als ich die Musik zum ersten Mal gehört habe. Ich hoffe, ihr hört das Album genauso gerne, wie ich es geliebt habe es zu kreieren.“ Die vielen Backgroundsänger und die Horn-Sektion der E-Street-Band verleihen „Only The Strong Survive“ ein wärmendes Zusammengehörigkeitsgefühlt und haben den Wohlfühlfaktor Springsteens in seinem Heimstudio mit familiärer Nähe potenziert.

Das bereits als Single vorab ausgekoppelte Commodores-Cover „Nightshift“ etwa geht zeitlich sogar in die 80er, fügt sich aber perfekt in das Gesamtkonzept der Platte ein. Bei den beiden Tracks „Soul Days“ und „I Forgot To Be Your Love“ hat sich Springsteen sogar R&B-Legende Sam Moore zur Gesangsverstärkung ins Studio geladen. Unter den breiten und weit geöffneten Flügeln des Boss haben eben alle Platz, die seine Vision von schöner Musik und einer friedlichen Welt teilen. Besonders gut gelang Springsteen und Ainello die Produktion, die so warm und anschmiegend klingt, wie man die Motown- und Stax-Produktionen längst vergangener Tage noch gut in Erinnerung hat. Die einzelnen Lieder sind durch die breite Hintergrundinstrumentierung so üppig ausstaffiert, dass man auch nach mehreren Durchläufen noch immer neue Finessen und Klangdetails entdeckt. Trotz allem ist das Werk nicht überproduziert, sondern weist einen demütig anmutenden Vintage-Touch auf.

2023 live in Wien
Kein einziger der auf „Only The Strong Survive“ befindlichen Songs wurde bislang von Springsteen live präsentiert, wodurch dem Material auch für langjährige Fans eine besondere Exklusivität anheim liegt. Wer händeringend nach neuen Studiosongs seines Helden sucht muss sich noch für unbestimmte Zeit gedulden, die Liebe zum Soul und R&B der glorreichen 60er- und 70er-Jahre ist aber so echt und unverfälscht, dass Springsteen mit diesem Werk einen absoluten Volltreffer landet. Am 18. Juli kommt Bruce Springsteen mit seiner E-Street-Band endlich wieder nach Österreich und wird im Wiener Ernst-Happel-Stadion für das Konzerthighlight des Sommers 2023 sorgen. Unter www.oeticket.com findet man vielleicht noch Restkarten, falls sich wo welche auftun. Ob der Boss auf seiner großen Tour auf die Soul-Klassiker setzen wird, ist anzuzweifeln, doch diese Songs entfalten ihre Schönheit auch am besten am heimischen Plattenteller, während draußen der kühle Herbstwind weht.

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