Krieg in der Ukraine

Journalist: „Völker werden sich niemals versöhnen“

Ausland
05.11.2022 06:00

Dmitri Muratow (61), russischer Friedensnobelpreisträger und Journalist, spricht im „Krone“-Interview über Leid, Unterdrückung, Putin und wenig Hoffnung.

Vergangenes Jahr erhielt der russische Journalist Dmitri Muratow den Friedensnobelpreis, wenig später versteigerte er die Medaille für 103,5 Millionen Dollar. Der Erlös kam geflüchteten ukrainischen Kindern zugute. Anlässlich der vom Außenministerium gemeinsam mit der UNESCO und dem Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte organisierten Konferenz zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten ist Muratow nun in Wien. Die „Krone“ traf ihn zu einem exklusiven Interview.

Krone: Sie kämpfen mutig für den Erhalt der Meinungsfreiheit in Ihrem Land, so lautete die Begründung des Nobelpreiskomitees im vergangenen Jahr. Vor Kurzem verlieh das EU-Parlament dem „mutigen Volk der Ukraine“ den Sacharow-Menschenrechtspreis. Wie beurteilen Sie das?
Dmitri Muratow: Die Trauer, das Mitgefühl und der große Schmerz gehen einher mit dieser Wahl. Ich gehe davon aus, dass zu meinen Lebzeiten die beiden Völker in Russland und der Ukraine niemals mehr eine normale Beziehung haben werden. Und das sind zwei Völker, die einander vor noch nicht allzu langer Zeit als Brüder und Schwestern bezeichnet haben. Mein Land, ich betone das, mein Land ist in das ukrainische Staatsgebiet einmarschiert. Meine Mutter und meine Großmutter wurden in der Ukraine geboren. Am Anfang fühlten sich die Ukrainer verraten, es war schließlich der Nachbar, der sie überfallen hat, jetzt sind sie wütend. Die Auszeichnung mit dem Sacharow-Preis wird keine Normalisierung herbeiführen, aber sie gebührt dem Volk für das enorme Leid.

Dmitri Muratow im Gespräch mit „Krone“-Redakteurin Doris Vettermann (Bild: Zwefo)
Dmitri Muratow im Gespräch mit „Krone“-Redakteurin Doris Vettermann

Das bedeutet, Sie glauben nicht an baldige Verhandlungen oder gar Frieden?
Ich schließe aus, dass die Völker sich versöhnen können. Sie werden sich nicht verzeihen. Was Gespräche zwischen Regierungen betrifft, will ich hoffen, dass es eines Tages dazu kommt. Aber meiner Einschätzung nach sind die Positionen der Parteien so weit voneinander entfernt, dass sie nicht an einem Tisch sitzen können.

Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, damit zumindest Hoffnung auf Frieden besteht?
Heute würde ich keine Grundlage dafür sehen, dass Friedensgespräche erfolgreich stattfinden können.

Sitzt Putin Ihrer Meinung nach fest im Sattel?
Ich kenne Erzählungen, die russischen Eliten seien angeblich gespalten, und diese Spaltung könne zu Putins Fall führen. Glauben Sie mir, es gibt keine Revolution der Eliten. Die Eliten sind rund um Putin vereint.

Russlands Präsident Wladimir Putin (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Russlands Präsident Wladimir Putin

Treffen die Sanktionen die russischen Eliten nicht?
Die Sanktionen haben die Eliten vereint, sie können nirgendwohin flüchten, der Westen hat sie gestrichen, sie haben niemanden außer Putin. Und wer der Illoyalität verdächtigt wird, hat ein hohes Risiko.

Wie gut sind die Menschen in Russland über den Krieg informiert? Gibt es überhaupt noch kritische Stimmen?
Die Staatsanwaltschaft hat offiziell 138.000 Internetseiten blockiert, es wurden auch 262 Medien dichtgemacht, ebenso Instagram. Es existiert keine Presse mehr, die nicht vom russischen Staat abhängig ist. Jetzt gibt es Initiativen, auch Google zur unerwünschten Organisation zu erklären. Für jegliche Äußerungen gegen die sogenannte Sonderoperation kann man von der Justiz belangt werden. Kann eine Gesellschaft unter diesen Bedingungen richtig im Bilde sein, was vor sich geht? Ich habe Zweifel.

Der 61-jährige Dmitri Muratow (Bild: Zwefo)
Der 61-jährige Dmitri Muratow

Auch die Zeitung „Novaja Gazeta“, die Sie mitgegründet hatten und bei der Sie Chefredakteur waren, wurde geschlossen. Wie passierte das?
Die Zeitung hat per Beschluss des obersten Gerichts ihre Lizenz verloren, sowohl für Print als auch für Online. Wir haben dann noch ein Magazin herausgegeben, das „No“ hieß, auch dieses Projekt wurde abgedreht. Fast alle Kollegen haben Russland verlassen.

Aber Sie sind in Moskau geblieben?
Ja, es gibt etwa 50 bis 60 Mitarbeiter der Zeitung, die nicht die Möglichkeit haben, auszureisen. Ich bin von den Mitarbeitern gewählter Chefredakteur, ich muss zweifelsohne bleiben. Und in Moskau sage ich das Gleiche wie hier in Wien.

In Österreich und anderen EU-Ländern mehren sich Stimmen, die meinen, wenn Europa die Sanktionen beendet, wäre die Energiekrise vorbei, ebenso die allgemeine Teuerung. Was sagen Sie zu dieser Haltung?
Ich werde mich nicht in Ihre Politik einmischen. Was ich aber sagen kann ist, dass viele davon ausgegangen sind, dass die Flüchtlingsströme dazu führen, dass Regierungen zu wackeln beginnen, dass Europa von den eigenen Werten Abschied nehmen wird. Aber es ist so, dass europäische Völker effizienter sind als ihre Regierungen. Sie haben eine enorme menschliche Solidarität an den Tag gelegt.

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