Mit „Mehr als nur ein Like“ hatte Amy Wald einen heimischen Top-Hit, der genau in die Corona-Pandemie fiel. Aus Amy wurde nun AYMZ. Mit dem Outing als nicht-binär vollzog sich auch ein musikalischer Wandel. Weg von filigranen Popsongs zu härteren Gitarren, weg von Wohlfühltexten zur brutalen inneren Reflexion. Das Debütalbum „Pyrolyse“ ist ein Parforceritt durch ein fragiles Seelenleben, das Fragen aufwirft, ohne Antworten zu suchen. Im „Krone“-Talk geht AYMZ dabei in die Tiefe.
„Krone“: Aus Amy Wald wurde in der Pandemie AYMZ. Was war der ausschlaggebende Grund dafür?
AYMZ: Ich hatte die letzten Jahre den Drang, mich musikalisch neu zu orientieren und zu sortieren. Ich komme ursprünglich aus der Band- und Rockschiene und rutschte irgendwie in den Pop. Das war nie ganz das, was ich machen wollte. Ich hätte auch unter Amy Wald weitermachen und das Album rockiger machen können, aber ich musste von Null anfangen, um mich ehrlich von allen Strukturen zu lösen. Ich wollte etwas aufbauen, das keinen Erwartungen gerecht werden muss. AYMZ ist völlig unbeschrieben und kann alles Mögliche sein. Dazu kam das Outing, dass ich nicht-binär bin, also floss auch Persönliches ein. Es geht auch darum, Geschlechterrollen aufzubrechen.
Einen Song wie den Amy-Wald-Hit „Mehr als nur ein Like“ wird es in dieser Art und Weise eher nicht mehr geben?
Auch wenn es Amy-Songs sind, sind es noch meine Songs. Derzeit will ich mich live komplett davon lösen, aber ich kann auf lange Sicht damit machen, was immer ich machen möchte. Vielleicht würde ich die alten Songs neu arrangieren, aber derzeit spielt das keine Rolle.
Ist AYMZ in musikalischer Hinsicht für dich eine Mischung aus Rückbesinnung und nach vorne Schauen?
Absolut. Ich habe über die Jahre vielmehr Einblick in die Sprache von Produktionen bekommen. Was heißt es, im Studio was aufzunehmen? Bei Amy Wald hatte ich kaum eine Ahnung von irgendwas und auf dieser Reise hat sich sehr viel verändert. Ich weiß besser, wie etwas klingen soll und muss mich nicht mehr mit Begriffen wie „flattern“ aufhalten. (lacht) Es steckt dadurch viel mehr von mir in den Songs, weil ich im Arrangement viel stärker beteiligt bin. Ich würde gerne auch das Produzieren erlernen.
Kam dir die Pandemie für das Songschreiben zur rechten Zeit, oder hat sie dich eher ausgebremst, weil du wenig erlebt hast?
Sie hat mir im Endeffekt geholfen, aber ich würde sagen, das beides stimmt. „Mehr als ein Like“ fiel mitten in die Pandemie und ich konnte damit nicht live spielen. Für AYMZ war die Pandemie aber gut, weil die Welt sich langsamer drehte und der Druck wegfiel, sofort was raushauen zu müssen. Ich habe mir mehr Zeit genommen, die Dinge wachsen und sich entwickeln zu lassen. Wie sieht das ganze Projekt auch ästhetisch aus? Dahingehend konnte ich in Ruhe überlegen.
Hast du jetzt als AYMZ die musikalische Essenz gefunden, oder ist das vorerst auch nur ein Teil der gesamten Suche?
Es ist der erste Teil der Suche. Es war von Song zu Song noch gar nicht klar, wohin das Projekt geht. Ich hatte schon ein Bild und Gefühl von AYMZ, aber das Klangbild dazu zu erstellen und es beschreiben zu können war nicht so leicht. Es sind mit jedem Song neue Effekte, Genreeinflüsse und Instrumentierungen dazugekommen. Das gesamte Songwriting war ein Findungsprozess. Es hätte auch alles komplett in die Hose gehen können.
Ich habe das Gefühl, die Texte auf dem Album „Pyrolyse“ sind ein bisschen persönlicher und intimer als damals bei Amy Wald. Gibt dir AYMZ mehr Freiheiten, um so persönlich nach außen zu gehen?
Amy Wald war sehr lieb, kindlich, verspielt, bunt und laut. AYMZ hat keine Angst, unangenehme Dinge anzusprechen. AYMZ hat sich von der Frage gelöst, was inhaltlich ins Radio und den Mainstream passt, sondern geht darauf ein, was wirklich bewegt. Ich habe das rausgelassen, was mich beschäftigt und was ich fühle - deshalb sind die Texte ganz anders.
Sorgen muss man derzeit im Indie-Kulturbereich haben. Etwa dann, wenn aus FM4 ein zweites Ö3 werden soll …
Wir haben in Österreich generell zu wenig Plattformen und Medien, die heimischer Musik eine Bühne bieten. Es gibt die zwei Pole FM4 und Ö3 und wenn du irgendwo dazwischen bist, bist du überhaupt nicht sichtbar. Sonst gehst du in der Radiolandschaft unter. Ich finde das sehr schwierig, weil sich Künstlerinnen dadurch erst recht wieder anpassen. Es gibt österreichische Künstler, die in Deutschland größer sind als bei uns, weil dort eine größere Breite herrscht. In Österreich wird extrem stark auf Grenzen geachtet. Viele tolle Künstler kriegen keine Aufmerksamkeit, weil sie nicht in diese zwei Nischen passen.
„Pyrolyse“, dein Albumtitel, ist ein Fachbegriff aus der Chemie. Welchen Hintergedanken hattest du dabei?
Ich musste den Titel finden, bevor das Album fertiggeschrieben war. Es sollte ein Begriff sein, der den ganzen Prozess einfängt und ich habe mir dann nochmal die Themen der bis dorthin entstandenen Songs angeschaut. Da spielten die Elemente Feuer, Erde und Wasser stark mit. Ich habe dann mit Pyro herumgespielt und kam auf Pyrolyse. Grob gesagt ist eine Pyrolyse ein Aufbrechen von einem größeren Teil zu kleineren Teilen. Es passiert eine Umwandlung und eine Abspaltung. Es passiert unter Ausschluss von Sauerstoff und so entsteht keine Flamme - also etwas versteckt. Bei AYMZ ist auch sehr viel versteckt passiert. Das Album braucht jeden einzelnen Song, um als großes Ganzes komplett zu sein.
Es gibt auf dem Album ein Intro und ein Interlude. Das bedeutet für gemeinhin, dass es einem Konzept folgt.
Oder man schon ein Zeitproblem hatte. (lacht) Das Interlude war notwendig, weil das Album sehr unangenehm sein kann. Man kann es nicht so einfach nebenbei hören, sondern viel eher in tiefe Gefühlswelten eintauchen. Beim Interlude kann man mal kurz durchatmen und reflektieren.
Forderst du dich selbst in einer besonderen Art und Weise heraus, wenn du so intensive und persönliche Texte schreibst?
Es geht um Dinge, die man selbst gerne verstecken würde. „Callgirl“ dreht sich etwa darum, wie man etwas vortäuscht, um eine gewisse Macht einem anderen gegenüber auszuüben und ihn im Griff zu haben. Damit du dich in mich verliebst und eine emotionale Bindung aufbaust, ohne dass ich ein Interesse daran hätte, dem weiter nachzugehen. Das ist etwas, das ich früher wirklich gemacht habe und darauf bin ich natürlich nicht stolz. Man hat nichts davon, außer dass man Leute verletzt und sie sich distanzieren. Es geht in Songs auch um meine Gender-Identität und wie sich Dinge damit anfühlen. In Songs kann ich geschützter darüber reden als in Gesprächen, deshalb fällt es mir hier auch schwerer.
Du gehst teilweise sehr hart mit dir selbst ins Gericht ...
Es wäre absolut falsch, nur über schöne und gute Dinge zu schreiben. Wir alle machen laufend Fehler und ich finde es nur fair, mich mit ihnen zu konfrontieren und mitzuteilen, dass ich nicht besser bin als jeder andere.
Sind manche der Songs entschuldigend? Bittest du darin um Verzeihung für deine Fehler?
Vielleicht, ohne das bewusst gemacht zu haben. Ich kann sehen, dass gewisse Dinge wirklich nicht gut waren, also trifft das wahrscheinlich schon zu.
Einer der stärksten Songs ist die Single „Odyssee“. Sprichst du damit eine Odyssee an, die du mit all deinen Veränderungen erlebt hast?
Ich habe den Song zu einem Zeitpunkt geschrieben, als ich wirklich völlig am Boden war. Heute fühle ich den Song noch viel intensiver als vor ein paar Monaten. Ich bin sozusagen noch mehr in diese Odyssee abgetaucht, doch heute schenkt mir der Song etwas Ruhe. Dieses Lied hatte ich inzwischen fast vergessen und so wollte ich dann wissen, ob er etwas mit mir macht. Er ist ein bisschen wie ein Sandbett unter Wasser, in das ich mich reinlege.
Ich nehme an, der Song „Triest“ entstand in Triest.
Von Wien aus gibt es eine günstige und gute Flixbus-Verbindung dorthin. Das war mein Hauptgrund, um dort hinzufahren. (lacht) Ich war letztes Jahr kurz nach meiner Trennung dort und mir ging es gerade nicht gut. Dort habe ich auch „X“ geschrieben und es entstanden die ersten Gedanken fürs Album. Das Reisen bringt mir viele Ideen, das war schon damals so als Straßenmusikerin. Ich war an jedem Tag an einem anderen Ort, wo mich niemand kannte. Ich brauche das, mich von Zuhause und dem bekannten Umfeld zu lösen. Daheim kennt man alle Wege und dabei verliere ich schnell das Auge für den Rest der Welt. Ich muss mir manchmal vergegenwärtigen, dass meine Probleme gar nicht so schlimm sind. Das hier alles ist viel größer als ich selbst. (lacht)
Haben sich während des Schreibprozesses mehrere Songs vom Negativen ins Positive gedreht?
Das ist tatsächlich bei einigen Songs passiert. Ich habe sehr viele geschrieben, sie liegen gelassen und mir dann den Text noch einmal angeschaut und oft noch einmal überarbeitet. Gerade Texte habe ich oft verworfen und manchmal auch Songs ganz neu geschrieben. „Ich tanze alleine“ habe ich an einem Tag geschrieben und aufgenommen. „Callgirl“ und „Triest“ sind vom Ursprungsgedanken komplett entfernt. Ich habe manche Songs nicht so ganz gefühlt und dann zu jedem eine Kurzgeschichte gebastelt. Jedes Lied muss erst einmal in mir etwas auslösen, damit es auch bei anderen klappt. So habe ich viel mit Stimmungen, Redewendungen und der Wortwahl gespielt. Am Ende entstand ein Konzeptalbum, bei dem ich überlegt habe, was noch fehlt. „Deine Neue“ geht ums Zurückholen von Dingen und „Ich tanze alleine“ ist ein Zeichen, dass ich mir endlich vertraue und um das Scherbenchaos tanzen kann. Diese zwei Nummern waren schon sehr gezielt auf den Rest hingeschrieben, weil sie das Konzept komplettiert haben.
Das klingt alles sehr stark nach Einzelkämpfertum. Ist Teamwork nicht unbedingt deine Stärke?
(lacht) Das ist wohl richtig. Es klingt immer toll, wenn jemand sagt, er macht alles alleine, aber bei mir ist das eher ein Fehlen von Vertrauen zu anderen. Ich schaffe es auch nicht etwas abzugeben, weil ich meine Kräfte und Kompetenzen überschätze. Mein Manager würde mich viel öfter viel stärker unterstützen, aber das fällt mir irrsinnig schwer. Mein Vertrauen ist noch von früher angeknackst und in erster Linie muss ich zuerst mir selbst vertrauen. Und wenn ich was abgebe, dann brauche ich einen Plan B, um beruhigt zu sein. Beim Songwriting und bei der Produktion habe ich ein eingeschworenes Team, da hat sich das Vertrauen über die Jahre aufgebaut und ich kann mich fallen lassen. Das ist sehr gut und notwendig.
Bist du ein kalkulierter Mensch, wo Intuition und Spontanität nicht schnell in den Vordergrund rücken?
Ich weiß gar nicht. Ich bin sehr impulsiv und mache sehr viele Dinge nach Gefühl. Man muss in dem Geschäft aber ein bisschen planen lernen. Vor allem dann, wenn man mit anderen Leuten arbeitet und eine andere Art von Verantwortung hat. Man muss Deadlines einhalten, damit andere Leute ihren Job machen können. Planen ist aber nicht so meine Stärke und wird es wohl nie sein. (lacht) Manchmal plane ich was und mache nie wieder was mit diesen Plänen.
Ist die im zweiten Songtitel gestellte Frage „Who The Fuck Is AYMZ“ nun eigentlich schon beantwortet?
Zu einem gewissen Teil ja. Ich weiß aber nicht, ob ich jemals eine endgültige Antwort auf diese Frage finden möchte. Ich will mich weiterentwickeln und mich weiterbilden. Es sollte keine Grenzen geben.
Mit „Pyrolyse“ hast du dir zumindest einmal ein Fundament geschaffen, nach dem dich die Menschen und Hörer kategorisieren können.
Amy Wald war immer die Referenz für alles und man konnte sich nicht vorstellen, in welche Richtung AYMZ gehen würde. Jetzt ist das Album da und ich habe das erste Mal das Gefühl, dass alles, was von AYMZ in Zukunft kommen wird, mit „Pyrolyse“ verglichen wird. Es gibt viele unterschiedliche Stile und die Songs unterscheiden sich teilweise stark. Ich habe mir auf dem Album sehr viele Freiheiten gelassen und kann so in die Zukunft schauen. Ich achte einfach darauf, was sich richtig anfühlen wird.
Der Grundsound und das Fundament werden sich jetzt nicht mehr fundamental verändern.
Es wird immer Gitarren geben, so viel steht fest. Man kann noch mehr mit Hip-Hop oder Synthies experimentieren. Akustisches Schlagzeug ist drin und auch mehr Live-Atmosphäre am Studioalbum. Eigentlich habe ich mit AYMZ bei jedem Song im Hinterkopf, ob er live geil klingen wird. Ich möchte live Songs ausbauen oder manche Parts rausziehen. Ich würde mir wünschen, dass die Leute beim Hören des Albums gleich wissen möchten, wie es live klingen wird.
Wie würdest du das Konzept des Albums genauer erklären?
Es ist eine Coming-Of-Age-Geschichte und beginnt mit der Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit. Teilweise habe ich das Gefühl, als hätte ich mich hingesetzt und mir überlegt, womit ich Probleme hatte und wie diese Probleme meine Beziehung zu mir selbst und anderen Menschen geprägt haben. Was hat das alles mit mir gemacht und was nehme ich davon mit? Ich reflektiere sehr viel und arbeite dann auf. Das Album war für mich wie eine Therapie.
Wird das zweite Album inhaltlich dann leichter sein, weil du hier schon so viel an negativen Dingen verarbeitet hast?
Es gibt noch genug zu sagen. Es kann sein, dass ich gewisse Themen am nächsten Album noch stärker konkretisiere und tiefer reingehe. AYMZ wird sich auch weiterhin mit eher unangenehmen Themen auseinandersetzen. (lacht)
Wie wird denn ein Live-Setting von AYMZ in der Praxis aussehen?
Man merkt einfach, dass die Songs schon im Studio vielmehr an eine Band ausgerichtet sind. Bei Amy Wald war alles viel verspielter und es klang so, als würden wir die Backing Tracks unterstützen. Jetzt liegt der Fokus auf Stimme und Instrumente. Die AYMZ-Shows werden auf jeden Fall härter und dreckiger und ich freue mich extrem drauf. Ich bewege mich auch ganz anders auf der Bühne. Alles ist viel gezielter und nicht mehr so unkontrolliert.
Wiener Release-Show
Am 17. November präsentiert AYMZ ihr famoses Album „Pyrolyse“ im Wiener Flex. Unter www.oeticket.com gibt es die Karten und noch alle weiteren Infos zum Konzert.
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