„Atomschlag möglich“

Putins Bluff zog nicht – jetzt wird beschwichtigt

Ukraine-Krieg
07.11.2022 18:13

Monatelang haben der russische Machthaber Wladimir Putin und seine Schergen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht. Außerdem wurde der Ukraine vorgeworfen, selbst eine radioaktive Bombe einsetzen zu wollen. Jetzt hat der Kreml seine Rhetorik deutlich gemildert. Laut Experten haben die nuklearen Drohungen ihr Ziel, die Moral der Ukraine zu untergraben, klar verfehlt. Jetzt versuche die russische Führung den Westen - allen voran die USA - zu beschwichtigen.

So veröffentlichte das russische Außenministerium Anfang November eine Erklärung zur „Verhinderung eines Atomkriegs“. Russland sei davon überzeugt, dass ein Atomkrieg „niemals entfesselt“ werden dürfe. Daher setze man sich dafür ein, die Zahl der Atomwaffen zu begrenzen. Die Äußerungen in der Vergangenheit, in denen indirekt mit einem nuklearen Schlag gedroht wurde, wurden heruntergespielt. Man habe lediglich „auf die Erklärungen von westlichen Staatschefs angespielt“, heißt es in der Erklärung vom 2. November. 

Schoigu: Kein Interesse an Nukleareinsatz
Davor hatte Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit seinen Amtskollegen telefoniert und erklärt, dass Russland kein Interesse am Einsatz von Atomwaffen habe. Kurz davor hatte Schoigu noch Gerüchte gestreut, dass die Ukraine plane, eine „schmutzige Bombe“ einzusetzen. 
Selbst Ex-Präsident und Vizechef des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, schwächte seine Rhetorik ab. Medwedew ist sonst nicht zimperlich, zuletzt schrieb er, dass man in der Ukraine den „Satan“ bekämpfe.

Russlands Präsident Wladimir Putin (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Russlands Präsident Wladimir Putin

Seit Ende September hatte Putin immer unverhohlener mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Laut den Militärexperten des Institute for the Study of War (ISW) - einem US-Thinktank - wollte die Kremlführung damit die Ukraine zu Verhandlungen drängen und die Unterstützung des Westens für Kiew verringern. Die Drohungen Russlands verfehlten aber ihr Ziel, ein Nukleareinsatz ist laut den Experten unwahrscheinlich.

„Rhetorische Wende des Kremls“
Sie sehen eine „rhetorische Wende des Kremls“. Der Rückzieher der russischen Führung hat demnach mehrere Gründe. Erstens habe es der Kreml es nicht geschafft, mit seinen nuklearen Drohungen den politischen und gesellschaftlichen Willen der Ukraine brechen. Das Land widersetzt sich der russischen Invasion weiter und konnte nicht, wie von Russland erhofft, an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Kiew würde „keine Verhandlungen mit vorgehaltener Waffe akzeptieren“, so das ISW. 

Zweitens sei hochrangigen Kommandeuren bis zu einem gewissen Grad klar, was ein russischer Atomschlag bedeuten würde: massive Konsequenzen für einen geringen operativen Gewinn. Auch China könnte eine Rolle gespielt haben. „Der Einsatz von nuklearen Waffen oder die Drohung damit muss abgelehnt werden“, erklärte kürzlich der chinesische Präsident Xi Jinping. Das Signal: Bei einem Atomwaffeneinsatz Russlands würde sich auch China abwenden.

Russische Militärs verwirrt
Außerdem könnte Verunsicherung bei den russischen Streitkräften zum Wandel im Auftreten nach Außen beigetragen haben. Hochrangige
 Militärs dürften verwirrt sein, was Putins Befehl, die vier ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja zu annektieren, für die russische Nukleardoktrin bedeutet. Denn diese erlaubt eindeutig den Einsatz von Nuklearwaffen, wenn die „Existenz des Staates gefährdet ist.“ Das könnte der Kreml möglicherweise auf Vorstöße der Ukraine auf ihr eigenes, aber von Russland beanspruchtes Territorium anwenden. Alle Frontlinien liegen aktuell in den vier von Russland annektierten Oblasten.

Deswegen dürften sich hochrangige russische Verteidigungsbeamte Mitte Oktober getroffen haben, um die Bedingungen für einen Einsatz von Nuklearwaffen erörterten - ohne Wladimir Putin einzubinden, wie die „New York Times“ vergangene Woche berichtete. Laut dem Thinktank ISW dürfte der Annexionsbefehl eine Spaltung im Kreml verursacht haben. Eine Fraktion sei weiter für den Krieg, eine andere für Verhandlungen.

Weiter Propaganda im Staats-TV
Trotz der Abmilderung der Worte des Kreml werden im russischen Staatsfernsehen weiter nukleare Drohungen geäußert. Sie sollen die Bevölkerung an Russlands Macht erinnern - trotz der militärischen Misserfolge und starken Verluste in der Ukraine.

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