Schiffe verlassen
Wende in Sizilien: Migranten dürfen an Land gehen
Nach zwei Tagen Warten im Hafen der italienischen Stadt Catania haben knapp 250 Migranten die zwei Rettungsschiffe verlassen und sind an Land gegangen. Nachdem Ärzte und Psychologen die geflüchteten Männer untersucht hatten, entschieden sie am Dienstagabend, dass diese aus gesundheitlichen Gründen von Bord gehen dürfen. 35 Menschen verließen das deutsche Schiff „Humanity 1“. Zuvor waren schon 213 Migranten von der unter norwegischer Flagge fahrenden „Geo Barents“ gegangen.
Seit dem Wochenende hatten die italienischen Behörden die Erlaubnis verweigert, weil sie argumentierten, die Männer befänden sich nicht in einer Notlage. Das Vorgehen der neuen italienischen Regierung unter der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die deutlich härter gegen Migranten vorgeht, hatte international für Kritik gesorgt. Die EU-Kommission, UN-Organisationen und auch die Bundesregierung appellierten an Rom, alle Geretteten an Land zu bringen. Am Morgen hatte das Dresdner Rettungsschiff „Rise Above“ 89 Migranten relativ problemlos in Reggio Calabria von Bord schicken können.
Italien wies Rettern keinen Hafen zu
Das Schiff „Ocean Viking“ der Organisation SOS Méditerranée machte sich dagegen mit 234 Menschen an Bord auf den Weg nach Frankreich, weil Italien den Rettern keinen Hafen zugewiesen hatte. Meloni hatte nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron über die Angelegenheit gesprochen. Am Dienstagabend zeigte sie sich erfreut über die Entwicklung bei der „Ocean Viking“. Ihr Amtssitz teilte mit, dass man die Entscheidung aus Paris begrüße, dem Schiff einen Hafen zuzuweisen. Die Einwanderung sei ein europäisches Thema und müsse auch so angegangen werden, hieß es.
Zwei Wochen nach Amtsantritt der ultrarechten Regierung in Rom drohte der erste große Konflikt zwischen der migrantenfeindlichen Rechtskoalition und den internationalen Seenotrettern zu eskalieren. Zwei NGOs wurden in der sizilianischen Stadt Catania aufgefordert, mit ihren Schiffen und einem Teil der geretteten Menschen den Hafen wieder zu verlassen. Beide weigern sich.
Hätten seit 40 Stunden nichts mehr gegessen
Auf der deutschen „Humanity 1“ waren rund 30 der 35 Migranten im Hungerstreik, wie Petra Krischok von der Organisation SOS Humanity bestätigte. Die Männer teilten der Crew demnach mit, dass sie seit 40 Stunden nichts mehr gegessen haben und dass die Öffentlichkeit dies erfahren soll. Weitere Details des Protests und der generellen Lage wollen die Retter am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mitteilen.
Wenn ich sehe, dass bei mir Menschen an Bord sind, die das Recht haben, an Land zu gehen, aber von den Behörden daran gehindert werden, dann bin ich einfach nur wütend.
Kapitän Joachim Ebeling
Die Situation an Bord spitzt sich also weiter zu. Es werde „geltendes Recht mit Füßen getreten“, sagte Kapitän Joachim Ebeling. „Wenn ich sehe, dass bei mir Menschen an Bord sind, die das Recht haben, an Land zu gehen, aber von den Behörden daran gehindert werden, dann bin ich einfach nur wütend.“ Er unterstrich, dass er das Schiff erst dann fortbewegen werde, wenn alle Migranten an Land sind.
„Unmöglich, Menschen ertrinken zu lassen“
Die jüngste Entwicklung bestätige ihn in seinem humanitären Handeln. „Was wir hier gerade erleben, löst in mir keine Zweifel aus, so was nochmal zu machen“, sagte der Bremer der Deutschen Presse-Agentur. „Es war immer schon für mich unmöglich, Menschen ertrinken zu lassen und ihnen nicht zu helfen, wenn sie die Hilfe benötigt haben.“
Würden lieber ertrinken als zurückkehren
Die Crew versuche, den 35 Männern Mut zu machen und die Angst zu nehmen, dass sie nach Libyen gebracht werden könnten, wo sie ihre Überfahrt in Booten angetreten hatten. Viele sagten, dass sie lieber ertrinken würden, als in das Bürgerkriegsland zurück zu müssen.
Wie schon am Montag hatte Brüssel Italien erneut aufgerufen, alle Geretteten an Land zu lassen. Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte, dass die Migranten nach EU-Recht Zugang zum Asylverfahren in Italien haben müssten. Es gebe einen klaren Rechtsrahmen. „Natürlich können Drittstaatsangehörige, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einschließlich der Hoheitsgewässer aufhalten, einen Asylantrag stellen, und in diesem Fall sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen effektiven Zugang zu Asylverfahren zu gewähren.“
„Wichtig, dass alle Menschen an Land können“
Auch Deutschland, unter dessen Flagge die „Humanity 1“ fährt, ist deshalb mit Rom im Austausch. Es sei „wichtig, dass alle geretteten Menschen von den Schiffen an Land gehen können und tatsächlich auch alle angemessen versorgt werden können“, hatte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag gesagt. „Dafür setzen wir uns als Bundesregierung weiter ein.“ Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe in der Sache bereits mit ihrem italienischen Kollegen gesprochen.
„Menschlich, aber auch entschieden prinzipientreu“
Überraschend kam das Vorgehen aus Rom nicht. Die rechten Parteien hatten bereits im Wahlkampf angekündigt, Bootsmigranten stoppen zu wollen. Innenminister Matteo Piantedosi sagte am Montagabend, Italien verhalte sich „menschlich, aber auch entschieden prinzipientreu“. Er hatte die Menschen, die auf dem Boot bleiben müssen, jüngst als „restliche Ladung“ bezeichnet, die den Hafen verlassen soll. Von der Opposition und Hilfsorganisationen wurde er dafür scharf kritisiert.
Piantedosi war im Jahr 2019 Bürochef im Innenministerium unter Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega, der schon damals Booten mit Geflüchteten die Einfahrt in italienische Häfen verbot. Dabei kommt nur einen kleiner Teil der Migranten auf NGO-Schiffen nach Italien. Das Innenministerium in Rom zählte Stand Montag mehr als 88.000 Bootsmigranten, die das Land in diesem Jahr erreichten - die allermeisten schaffen es mit eigenen Booten in italienische Gewässer.
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