Der Vorstoß von Klubobmann August Wöginger sorgte für heftige Diskussionen innerhalb der ÖVP: Die Landes-Parteichefs aus Salzburg, Kärnten und dem Burgenland können einer Überarbeitung der EMRK viel abgewinnen. Thomas Stelzer, Landeshauptmann von Oberösterreich, forderte eine gesamtheitliche Überarbeitung des Asylsystems. Seine Amtskollegin aus Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner erklärte, die Menschenrechtskonvention sei eine Errungenschaft gewesen, doch ihre Auslegung sei oft „nicht nachvollziehbar“. Doch viele distanzieren sich auch von der Idee Wögingers. Parteikollege und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Othmar Karas zeigte sich fassungslos und kritisierte, damit würde man an einem Grundpfeiler unserer Demokratie rütteln.
Nach dem steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler haben am Dienstag auch die ÖVP-Chefs aus Salzburg, Kärnten und dem Burgenland für eine Überarbeitung der Konvention ausgesprochen. Burgenlands Parteichef Christian Sagartz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments ist, erklärte, ein „Update ist längst überfällig“.
Mikl-Leitner: „Hohe Standards werden zum Hemmschuh“
Mikl-Leitner betonte, man würde in Niederösterreich im besonderen Maß seiner Verantwortung bei der Versorgung von Flüchtlingen nachkommen. Die EMRK sei eine humanitäre Errungenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. „Ihre Auslegung durch manche Gerichte hat mit dem Grundgedanken aber oft nur mehr wenig zu tun. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn zum Beispiel Rückschiebungen in andere sichere Länder der Europäischen Union nicht möglich sind. Das versteht kein Mensch. Damit werden die eigenen hohen Standards zum Hemmschuh für ein glaubwürdiges Asylsystem.“
Stelzer: Rechtliche Grundlagen gehören überprüft
Auch Thomas Stelzer, Landeshauptmann von Oberösterreich, mit einem Statement an die „Krone“: „Klar ist: Es kann mit der unkontrollierten Migration nicht mehr so weitergehen. Asyl heißt vorübergehender Schutz durch ein sicheres Land, aber nicht durch zig EU-Länder zu marschieren bzw. durchgewunken zu werden, bis man Asyl ruft.“ Er spricht sich für eine gesamtheitlich Überarbeitung des Asylsystems aus, dazu gehöre auch eine Überprüfung der rechtlichen Grundlagen, damit man jenen helfen könnte, „die wirklich Hilfe brauchen“, so Stelzer.
Sagartz erklärte: „Niemand möchte die Menschenrechte willkürlich ändern. Aber für mich ist ganz klar - die über 70 Jahre alte Menschenrechtskonvention benötigt ein Update beim Thema Migration und diese Diskussion sollten wir so schnell als möglich starten.“ Ähnlich wie in anderen Rechtsbereichen müssen man die Menschenrechtskonvention ins neue Jahrtausend holen, da es seit 1984 keine wesentlichen Anpassungen mehr gegeben habe. „Noch dazu wurden die alten Passagen sehr freizügig ausgelegt, was zu langen Abschiebeprozessen und zu übermäßigen Zuzug geführt hat“, meinte Sagartz.
Sagartz: „Menschen kommen von überall“
Der Landesparteiobmann fordert darüber hinaus auch eine Überarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention: „Der ursprüngliche Text der Genfer Flüchtlingskonvention war ausgelegt, unseren unmittelbaren Nachbarn in Not zu helfen. Doch jetzt kommen Menschen von überall nach Europa und wollen Zugang zu unserem hart erarbeiteten Sozialsystem. Das konnte damals niemand vorhersehen.“
„Menschenrechtsmaterien sind besonders sensibel, wir müssen behutsam mit ihnen umgehen“, betonte ein Sprecher von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. „Asylgrundsätze sind eindeutig und für jene da, die Asyl brauchen. Wir benötigen aber eine Lösung für Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Asylgrundsätze berufen - ohne aber dass sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben.“
Drexler kritisiert „fortlaufende Weiterinterpretation“
Ähnlich hatte sich Drexler geäußert. „Ja, er hat recht. Wenn es darum geht, auch die Europäische Menschenrechtskonvention diskutieren zu dürfen“, sagte er zu Wögingers Vorstoß und weiter: „Mir geht es weniger um den Text der EMRK aus dem Jahr 1950. Aber die fortlaufende Weiterinterpretation durch den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann man als ein sich verselbstständigendes Richterrecht sehen. Da stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation.“
Drexler: Asylpraxis sei „eine wirkliche Pervertierung“
Man solle „einmal abklopfen, was in einer zeitgemäßen Textfassung eine Deckung finden würde“, so Drexler. „Möglicherweise braucht es eine Neukodifizierung, um das, was sich auf dem Interpretationsweg ergeben hat, zu bewerten, allenfalls in den Text aufzunehmen oder zu verwerfen. Darüber eine Diskussion zu führen, ist legitim.“ Die heutige Asylpraxis sei „eine wirkliche Pervertierung des ursprünglichen Asylgedankens“.
Karas: „Vorstoß macht mich fassungslos“
Kritik ernteten Sagartz und andere Fürsprecher einer Änderung der EMRK prompt von ihrem Parteikollegen und Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Othmar Karas. Er schrieb auf Twitter: „Die Europäische Menschenrechtskonvention ist eine humanistische Errungenschaft. Wer sie in Frage stellt, sägt an einem Grundpfeiler unserer Demokratie. Dass dieser Vorstoß aus der ÖVP weiter Unterstützung findet, macht mich fassungslos und bedarf einer klaren Zurückweisung.“
Dessen ungeachtet kam vorsichtige Unterstützung für Wögingers Vorschlag auch von Kärntens ÖVP-Landesparteiobmann Martin Gruber: „Wir müssen etwas dagegen tun, dass Asyl als Deckmantel für Migration missbraucht wird. Wenn es dazu eine Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention braucht, spreche ich mich dafür aus“, sagte Gruber. Es müsse weiters „klargestellt werden, dass Asylverfahren außerhalb der EU stattfinden sollen, um illegale Zuwanderung zu stoppen“, so Gruber.
Für Edtstadler und Zadic Konvention „nicht verhandelbar“
Zuvor hatten Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) die Europäische Menschenrechtskonvention als „nicht verhandelbar“ bezeichnet. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen begab sich am Montag in diese Debatte: Die EMRK sei eine große Errungenschaft der Menschlichkeit, ein Kompass der Humanität und gehöre zum Grundkonsens der Republik, schrieb er auf Twitter. Diese infrage zu stellen, löse keine Probleme, sondern rüttle an den Grundfesten, auf denen unsere Demokratie ruhe.
Mair: Wöginger forciere „konservative Wende“ ganz bewusst
Tiroler Grünen-Klubobmann Gebi Mair vermisste einen „Aufschrei in der ÖVP“ sowohl auf Landes- als auf Bundesebene. Bisher sei es ihm in dieser Sache „aus der ÖVP deutlich zu still gewesen“, so Mair. Sowohl in Tirol als auch bundesweit finde eine Art „konservative Wende“ statt. Diese forciere ÖVP-Klubobmann Wöginger auch ganz bewusst. „Er ist Profi genug, um genau zu wissen, was er damit auslöst und bezweckt“, so der Tiroler. Auch die Katholische Aktion Österreich forderte in einer Aussendung am Dienstag alle politisch Verantwortlichen auf, sich gegen ein „Herumhämmern am Fundament der Europäischen Menschenrechtskonvention“ zu engagieren.
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