Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Seit mehr als 30 Jahren kurvt der gebürtige Türke Cengiz mit seinem schwarzen Mercedes als Taxler quer durch Wien. Gut, es war nicht immer derselbe Mercedes, aber an der Automarke gibt es für ihn nichts zu rütteln. Der Mittfünfziger liebt seinen Job und hat sich seit geraumer Zeit auf die Nachtschichten verlegt. „Die Kinder sind mittlerweile alt genug und selbstständig, da muss ich nicht tagsüber Schulwege oder dergleichen mit ihnen erledigen. Und in der Nacht ist immer noch mehr Geld drinnen.“ Mehr Geld und viel weniger Stau. Für einen flüssigen Verkehr verzichtet Cengiz gut und gerne auf die wieder zunehmenden Touristenströme. Viel zu kurze Strecken, viel zu viel Stress, „da fahre ich lieber mit den übriggebliebenen Gastronomiegästen durch die Gegend.“
Hinter Cengiz‘ freundlicher und zuvorkommender Art steckt eine veritable Krise, die er mich als Gast nicht im Ansatz spüren lässt. Erst auf wiederholte Nachfrage nach dem allgemeinen Befinden in seiner Zunft entgegnet er mir mit der harten Wahrheit. „Ich hatte bis 2019 als Selbstständiger einen Betrieb mit zehn Autos. Alle waren Tag und Nacht im Dauereinsatz, selbst an schwächeren Tagen wie Montag oder Dienstag war immer genug zu tun.“ Die letzten vier, fünf Jahre vor Ausbruch der Pandemie zog sich Cengiz ins Büro zurück und überließ die Straße seinen Angestellten. Nicht, weil er keine Lust aufs Fahren gehabt hätte, sondern weil der bürokratische Aufwand ansonsten nicht mehr zu bewerkstelligen gewesen wäre.
Seine Frau hat einen eigenen Job und konnte nicht im Familienbetrieb aushelfen, so blieb alles an Cengiz hängen. Beim Wort Bürokratie kommt ihm anfangs noch ein Lächeln über die Lippen, es wird aber schnell von einem kühlen Frösteln ersetzt - und das liegt nicht daran, dass er die Klimaanlage für einen nebeligen Herbsttag übermäßig kalt eingestellt hat. „Ich habe nie verstanden, warum Unternehmern das Leben hier so schwer gemacht wird. Mit den Lohnnebenkosten zahlte ich jedes Jahr das Doppelte für meine Mitarbeiter. Die Versicherungskosten kann ich ja noch nachvollziehen, weil sie uns in vielen Bereichen zugutekommen, aber dieser Riesensatz an Steuern ist doch nicht zu argumentieren. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich bestraft werde, wenn ich hart arbeite. Warum gibt es Zuverdienstgrenzen, wenn man gerne mehr tun würde? Wenn man hart arbeitet, hat man hier keine Vorteile.“
Zudem hat er die Finanzkontrollen übel in Erinnerung. Er rekapituliert diverse unbefriedigende Erfahrungen mit viel Ironie und Bissigkeit. „Wenn aus dem Jahr 1850 ein Beleg mit acht Euro fehlt, weil ich ihn wahrscheinlich in der Mittagspause beim Essenholen verworfen habe, gibt es nicht nachvollziehbare Strafen. Das ist ein bisschen wie bei der Polizei. Wenn du nicht zu schnell gefahren bist, dann ist das Rücklicht kaputt. Wenn das Rücklicht nicht kaputt ist, hast du wo vergessen zu blinken. Hast du geblinkt, ist wahrscheinlich das Kennzeichen schief.“ Als die Kinder von Cengiz noch zur Schule gingen, habe er monatlich 450 Euro für sie zahlen müssen. Schulsachen, Jause und Ausflüge kosten nun einmal viel Geld. „Also dachte ich mir, ich fahre mehr und arbeite härter. Aber der Staat macht es unmöglich, dass dir dadurch mehr Geld in der Tasche bleibt.“
Die Thematik mit den Angestellten und den vielen Zusatzkosten hat sich durch die Pandemie sehr schnell erledigt. Nun geht das Taxigeschäft aber wieder steil bergauf und Cengiz merkt, dass er allein schon für die Nachtschichten mehr Fahrer als nur sich selbst brauchen würde. Noch gar nicht zu sprechen von untertags, wo Touristen und Geschäftsreisende fast so stark vorhanden sind, wie zu den besten Zeiten vor Corona. „Dafür müsste ich aber wieder neue Autos kaufen und mir eine Fahrzeugflotte zulegen. Das ist mit den derzeitigen Preisen und den Zinssätzen nicht möglich. Und die Spritpreise gingen so durch die Decke, dass sich das Fahren kaum mehr lohnt.“ Cengiz macht daher als Ein-Mann-Armee weiter. „Anders ist es derzeit gar nicht möglich.“
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