Ein junges Mädchen aus Steyr täuschte den zweitwichtigsten Mann im „Dritten Reich“, wurde trotz Zwangssterilisation im Konzentrationslager zweifache Mutter: Ihre heute 63 Jahre alte Tochter Nurit erzählt bei einem Zeitzeugen-Treffen die unglaubliche Überlebensgeschichte ihrer Mutter Helene.
Eigentlich dürfte es Nurit Pedersen gar nicht geben. Nicht wenn es nach den Plänen der Nationalsozialisten geht, die ihre in Steyr geborene Mutter Helene nach Auschwitz ins Konzentrationslager deportierten. 1944 führte der berüchtigte SS-Arzt Josef Mengele bei Helene und anderen jungen Frauen eine Massensterilisation durch. Doch der Eingriff bei Helene misslang, die Natur leistete Widerstand. Denn allen Widrigkeiten zum Trotz brachte Helene einen Sohn und ein Mädchen zur Welt – Tochter Nurit ist heute 63 Jahre alt.
Als „deutsches Dienstmädchen“ in Görings Jagdschloss getarnt
Bei einem Treffen in Tel Aviv ließ sie auf Einladung von Landeshauptmann Thomas Stelzer eine oberösterreichische Delegation an der unglaublichen Geschichte ihrer Mutter Helene teilhaben. Wie diese als junges Mädchen ohne Eltern auf einem Bauerhof versteckt, später sogar als „deutsches“ Dienstmädchen in Hermann Görings Jagdschloss getarnt wurde und „Heil Hitler“ schwor, nur um nicht ermordet zu werden. Wie sie das KZ und den Beinahe-Hungertod besiegte. Und davon, wie sie ihre Vergangenheit mit ihrem Mädchennamen Popper ablegte, indem sie als Helene Seinfeld an der Seite ihres Mannes Philip in Palästina ein neues Leben begann.
Nur drei Menschen wussten von Helenes Martyrium
„Meine Mutter hat sich geschworen, nie wieder über ihre Vergangenheit zu sprechen. Ihr Herz war gebrochen“, erzählt Nurit, die erst Jahre später vom Überlebenskampf der eigenen Mutter erfuhr. Die dunklen Kapitel vertraute Helene Seinfeld neben Ehemann Philip nur zwei anderen Menschen an – den Oberösterreichern Waltraud und Georg Neuhauser, die im Buch „Fluchtspuren“ die Geschichte von vertriebenen Juden am Beispiel von Steyr aufarbeiteten. Noch immer zeugt ein Grab der Familie Popper von der Verbundenheit zu ihrer Heimatstadt Steyr.
Topfen-Marillenknödel als unsichtbares Band zu Österreich
So wie Nurit Pedersen, die bis heute Deutsch sprechen kann und „gerne Topfen-Marillenknödel“ kocht, haben viele andere vertriebene Juden ihre Wurzeln niemals vergessen. Sie reisen der Vergangenheit nach und versuchen, Erinnerungen wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Schon seit dem Jahr 2004 lädt die oberösterreichische Landesregierung anlässlich der Friedenslichtreise jene vertriebenen Mitbürger zu einem Treffen in Tel Aviv ein. Um zu erinnern und um zu zeigen, dass „Österreich seine gesellschaftliche Verantwortung ernst nimmt“, wie Landeshauptmann Stelzer betont. Auch wenn Opfer wie etwa Helene Seinfeld (2005) verstummt sind, so dürfen das ihre Geschichten niemals. Sie müssen am Leben bleiben. Gegen das Vergessen.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.