Ausgerechnet gegen die berauschten Spanier steht Vierfachweltmeister Deutschland bei der Fußball-WM in Katar schwer unter Druck - die Lage hat sich schon nach dem völlig verkorksten Auftakt-1:2 gegen Japan am Mittwoch zugespitzt. „Wir haben keinen Schuss mehr frei, der Fehlschuss, den hatten wir gestern, so müssen wir das Ganze angehen“, erklärte Teamchef Hansi Flick am Donnerstag. Nicht alles sei schlecht gewesen, gab Flick zu bedenken: „Wir haben einiges zu tun.“
Schon am Sonntag könnte bei einer weiteren Niederlage gegen Angstgegner Spanien das nächste Vorrunden-Aus vier Jahre nach dem historischen WM-Desaster in Russland besiegelt sein. Und zwar dann, wenn die Japaner einige Stunden zuvor auch gegen Costa Rica punkten. „Wir haben jetzt Druck auf dem Kessel“, sagte Offensivakteur Kai Havertz. Kapitän Manuel Neuer bewertete den WM-Einstieg als „Vollkatastrophe“. Wie schwer es gegen Spanien wird, zeigt nicht nur deren offensichtlich starke Form, die am Mittwoch in einer 7:0-Abfuhr für Costa Rica gipfelte. Die Iberer sind auch die einzige große Nation, gegen die Deutschland in diesem Jahrtausend kein Pflichtspiel gewinnen konnte. Der bisher letzte Sieg liegt mehr als 34 Jahre zurück.
Alle Augen richten sich jetzt auf Flick. Er muss zeigen, dass er ein starker und erfolgreicher Krisenmanager sein kann. Der 57-Jährige ist mit seinem Team im Grunde zum Siegen verdammt, erst gegen Spanien und anschließend gegen Costa Rica. Nach seinem Startrekord mit acht Siegen en suite ist der Ergebnis-Trend bei Flick gekippt. Von den vergangenen neun Länderspielen konnten nur noch zwei gewonnen werden. Dazu gab es fünf Unentschieden und zwei Niederlagen, die jüngste nun gegen Japan. „Deutsches Harakiri. Flicks Team war nicht in der Lage, ein Spiel einzusacken, das es unter Kontrolle hatte“, brachte es die spanische Sportzeitung „As“ auf den Punkt.
Angesichts des Chancenwuchers sowie des krassen Leistungsabfalls und Defensivversagens in den letzten 20 Minuten, in denen Ritsu Doan (75.) und Takumo Asano (83.) der DFB-Auswahl „einschenkten“, stellte Flick die Charakterfrage. „Es ist so, dass ich ganz großen Wert darauf lege, dass die Mannschaft die richtigen Schlüsse zieht und die Verantwortung übernimmt“, sagte er. Aber auch Flick wird sich in der Aufarbeitung der absolut vermeidbaren Niederlage mit seinem Trainerteam hinterfragen müssen. Einige Personalentscheidungen und auch Wechsel waren durchaus fragwürdig, besonders die Auswechslung von Elfmeter-Torschütze und Stabilisator Ilkay Gündogan.
Neuer: „Das ist dramatisch“
Besitzt die Mannschaft nun die notwendige Geschlossenheit und Stressresistenz, um unter größtmöglichem Druck gegen die berauschten Spanier eine Top-Performance zu liefern? Neuer ließ im spontanen Frust Zweifel erkennen: „Irgendwie hat man schon gemerkt, der eine oder andere Spieler fängt an zu wackeln“, sagte er nach dem späten Untergang. Man habe sich „nicht mehr so gezeigt auf dem Platz“, rügte der Torwart. Dass es schon gegen Japan „ins Bröckeln gerät, ist dramatisch“.
Nach dem Spiel hatte es in Deutschland Diskussionen darüber gegeben, ob Neuer das entscheidende zweite Gegentor hätte verhindern können. Beim Schuss von Asano aus spitzem Winkel hatte der Keeper die kurze Ecke nicht zugemacht. Flick sprach Neuer von einer Mitschuld frei. „Die Gegentore müssen wir anders verhindern“, sagte der Bundestrainer. Spekulationen über mögliche Schulterprobleme Neuers, der nach einer Prellung des Schultereckgelenks Anfang Oktober sieben Bayern-Pflichtspiele verpasst hatte, wies Flick zurück. „Mir ist nicht bekannt, dass er Probleme hat. Ich habe ihn öfter darauf angesprochen. Er ist topfit, was das betrifft.“
Die Kritik von Torschütze Gündogan, der im ARD-Interview u.a. moniert hatte, „dass nicht jeder den Ball unbedingt haben wollte“, fand Flick „okay“. „Er hat das so auf den Punkt gebracht. Es ist wichtig, dass man dann im Spiel, wenn man unter Druck ist, den Mut hat, sich anzubieten.“
Japan hat Historisches vor
Indes hängt der japanische Himmel voller Geigen. Als Trainer Hajime Moriyasu zur Pressekonferenz erschien, klatschten die anwesenden Journalisten. Moriyasu, der offen das erstmalige Erreichen des WM-Viertelfinals ausgerufen hatte, schwärmte von seinem Team um die in der deutschen Bundesliga engagierten Profis Doan, Daichi Kamada und Kapitän Maya Yoshida. „Ich glaube, es war ein historischer Moment, ein historischer Sieg“, sagte der Chefcoach.
Gegen Costa Rica am Sonntag hat Japan nun quasi Matchball auf das Achtelfinale. „Wir wollten weiterkommen, das war unser erster Schritt, deshalb sind wir sehr froh“, sagte Shuichi Gonda. Der Torhüter patzte erst mit einem Foul an David Raum, das ein Elfmeter-Tor von Ilkay Gündogan zur Folge hatte, wurde dann aber immer stärker und schließlich zum Spielers des Spiels. „Wir wollen ins Viertelfinale kommen“, bekräftigte Gonda, der 2016 beim SV Horn engagiert war.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.