Aber Kritik bleibt

Eltern-Kind-Pass neu soll mehr Sicherheit bringen

Österreich
27.11.2022 06:02

Der digitale Eltern-Kind-Pass bringt die Ausweitung der kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen, Schwangeren-Betreuung durch Hebammen und moderne Beratung für junge Familien.

Der Mutter-Kind-Pass wird zum elektronischen Eltern-Kind-Pass. Zumindest verkündete die Bundesregierung diesen Beschluss am 16. November. Tatsächlich war eine Überarbeitung des Vorsorgeprogramms längst überfällig. Die Österreichische Ärztekammer beklagte bereits seit längerem, dass die Honorare für die Untersuchungen seit 1994 nicht angehoben wurden und drohte mit dem Ausstieg aus dem Projekt. Verhandlungen sind weiterhin im Gange. Dazu war das Angebot auch nicht mehr auf dem neuesten medizinischen Stand.

Diese Leistungen werden zusätzlich angeboten:

  • Psychosoziale Beratung bereits zu Beginn der Schwangerschaft
  • Eine zweite freiwillige Hebammenberatung vor der Geburt
  • Ein zusätzliches Hörscreening für Neugeborene
  • Die Möglichkeit eines zusätzlichen Ultraschalls
  • Ergänzende Laboruntersuchungen entsprechend der fachlichen Empfehlungen
  • Ernährungs- und Gesundheitsberatung für Schwangere, Stillende oder junge Eltern im Zuge eines Pilotprojektes
  • Elternberatung

Ziel ist laut Bundesregierung, die überarbeitete, elektronische Version des früheren Mutter-Kind-Passes bis Mitte 2026 vollständig umzusetzen. Die Digitalisierung startet Mitte des kommenden Jahres und soll etwa 90 Prozent der Betroffenen erreichen. Allein dafür werden zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Für Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) „ein großer Wurf“: „Der Mutter-Kind-Pass ist ein essenzieller Bestandteil der Gesundheit von Müttern und Kindern in Österreich. Jetzt haben wir dieses wichtige Instrument in einer zeitgemäßen Form weiterentwickelt. Das bringt wichtige Verbesserungen für die Neugeborenen und ihre Eltern.“ Es handle sich um eine beispielhafte Einrichtung, die nicht als lästige Pflicht zu sehen ist, um an das Kindergeld zu kommen, sondern um Kinder zu schützen.

Der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Andreas Huss kritisiert allerdings, dass weiterhin die Zahnvorsorge in diesem Programm fehlt, obwohl Österreich die internationalen Ziele beim Kariesstatus nicht erreicht: 45 Prozent der Sechsjährigen leiden bereits an dieser Zahnkrankheit. Die Opposition vermisst einen konkreten Fahrplan für die Umsetzung sowie eine detaillierte Budgetierung.

Daten & Fakten

  • Unter der Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter wurde 1974 der Mutter-Kind-Pass eingeführt. Zu Beginn war das Hauptziel die Verringerung der Säuglingssterblichkeit. Mittlerweile ist auch die Früherkennung von Fehlentwicklungen Schwerpunkt.
  • Die Einhaltung der Untersuchungen war zunächst Voraussetzung für die Auszahlung der Geburtenbeihilfe. Nach deren Abschaffung nahm die Zahl der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen ab, sodass 1997 ein Mutter-Kind-Pass-Bonus in Höhe von 2000 Schilling eingeführt wurde.
  • Seit 2002 gilt die Regelung, dass bei Nichteinhaltung der ersten zehn vorgesehenen Untersuchungen das Kinderbetreuungsgeld ab dem 20. Monat um die Hälfte gekürzt wird.
  • Ein „Meilenstein“ in der Entwicklung der Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere war der orale Glukosetoleranztest 2009, seit dem Schwangerschaftsdiabetes rechtzeitig erkannt wird.
  • Aus Sicht der Neonatologie müsse sich das Programm heute vor allem darauf konzentrieren, die Frühgeburtenrate in den Griff zu bekommen. 
(Bild: Krone KREATIV)

„Der Pass sollte nicht mit dem sechsten Lebensjahr aufhören“
Die Modernisierung nimmt Fahrt auf. Wir befragten einen Kinderarzt, was er von den kommenden Neuerungen hält.

„Krone“: Primar Reinhold Kerbl, wie zufrieden sind Sie mit der Umgestaltung des Passes?
Reinhold Kerbl: Noch ist der aktuelle Eltern-Kind-Pass ja nicht da. Aber grundsätzlich sind wichtige Neuerungen enthalten. Etwa, dass psychosoziale Aspekte mit einbezogen werden. In Zeiten wie diesen ist das so wertvoll wie nie zuvor. Unsere diesbezüglichen Probleme sind gewaltig - und in den bisherigen Untersuchungen unterrepräsentiert. Das beginnt bereits in der Schwangerschaft und zieht sich bis ins Kindesalter. Am besten sollten im Rahmen eines Arzttermins einfache, treffsichere Fragen gestellt werden. Die wichtigste: Brauchen Sie Hilfe oder Unterstützung?

Es soll künftig auch vermehrt Beratung zu gesundem Lebensstil geben?
Die Ergänzung mit Ernährungs- und Gesundheitsberatung stellt einen bedeutenden Aspekt dar. Es gibt immer mehr übergewichtige Kinder, da muss man bei den Eltern schon früh Bewusstsein für gesundes Essen und Bewegung schaffen.

Hält endlich die Digitalisierung Einzug?
Da war ich schon vor zehn Jahren dafür! Ein elektronischer Eltern-Kind-Pass ist auf jeden Fall sinnvoll und modern. Das Tool eignet sich gut dafür.

Primar Reinhold Kerbl, LKH Hochsteiermark (Bild: Olivia ROTHMANN)
Primar Reinhold Kerbl, LKH Hochsteiermark

Was fehlt Ihnen im aktuellen Entwurf?
Grundsätzlich fordere ich schon länger, dass der Pass über das 6. Lebensjahr hinaus bestehen sollte. Viele Probleme beginnen ja erst in diesem Alter, wie etwa Schulangst, Mobbing, Übergewicht, problematischer Medienkonsum oder vermehrte Kurzsichtigkeit bei Schulkindern. Das müsste an die heutige Zeit angepasst werden. 1974 waren solche Schwierigkeiten ja noch nicht bekannt. Die Untersuchungen in der Schule reichen nicht aus, das sind in Wahrheit nur wenige Minuten pro Jahr.

Ärzte fordern jetzt mehr Geld für die Untersuchungen?
Es tut mir leid, dass die Debatte nun auf die Honorare beschränkt wird. Natürlich ist das wichtig, schließlich wurden diese seit 1994 nicht erhöht. Aber mindestens genauso notwendig ist es, sich um die konkreten Inhalte des Passes zu kümmern. Da ist ja noch Zeit für Anpassungen und Wünsche an den Gesundheitsminister.

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