„Kommt nicht infrage“

„Sexpertin“ Gerti Senger sieht bei Tinder rot

Adabei
30.11.2022 10:00

In ihrem Buch schreibt Österreichs wohl bekannteste Beziehungs- und Psychotherapeutin Gerti Senger über die „Krankheiten“ unserer Zeit. Im Interview erklärt sie, warum sie Plattformen wie Tinder und Facebook als problematisch erachtet und sie bei ihrer Buchpräsentation in der Wiener Eden-Bar mit Dompfarrer Toni Faber über die Liebe diskutieren wollte.

Auf ihrer „Couch“ haben schon viele Platz genommen, erzählt uns Gerti Senger, als wir sie vor der gut besuchten Buchpräsentation von „Lieben ist nichts für Feiglinge“ (Amalthea) in der Wiener Eden-Bar zum Interview treffen. „Einmal war ein ganz berühmter Mann aus Deutschland, ein sehr erfolgreicher, bei mir in der Praxis. Aber ich habe ihn gar nicht erkannt. So bin ich (lacht). Es bleibt für mich das Problem, das mir gegenübersitzt. Prominente sind auch nicht gehemmter oder distanzierter. Wenn man so zurückgeworfen auf seinen Schmerz ist, dann ist man nicht mehr prominent.“ 

Was die Senger und den Pfarrer eint
Im schummrigen Lampenschein versammelten sich am Dienstagabend aber nicht nur Freunde und Wegbegleiter Sengers, sondern auch Toni Faber. Der Wiener Dompfarrer stellte sich einer Diskussion mit der Erfolgsautorin über Liebe. Ein spannender Akt. 

Schnell war aber klar, die „Sexpertin“ und den Geistlichen eint mehr als gedacht. „Bei uns sitzen Menschen, die dieselben Themen beschäftigen“, stellte Senger fest. Und: „Zuhören tun wir den Menschen ja beide, bei mir sitzen sie halt in der Praxis.“ Das bejahte auch Faber, der darin den Schlüssel zum beruflichen Erfolg der beiden sieht. Ob das Gespräch über Liebe, Sex und Zärtlichkeiten mit Gerti Senger den Pfarrer nervös machte? „Nein nicht wirklich. Nervös hätte mich nur die erste Location gemacht, die Gerti vorgeschlagen hatte, das Hotel Orient. Hier in der Eden-Bar war ich schon öfter - also einmal im Jahr mit den Sternsingern (lacht).“

Worum es in ihrem neuen Buch geht, wollen wir natürlich wissen? „Zum einen besteht eine große Sehnsucht nach Liebe, andererseits sind damit Feigheitsgefühle verbunden. Angst, sich endgültig zu binden, Angst vor Verbindlichkeit und Angst vor der Konsequenz einer Bindung. Mit diesen Themen habe ich mich dieses Mal beschäftigt“, erklärt die Frau, die über Liebeskummer eine Doktorarbeit geschrieben hat, ihr neuestes Werk. Besonders schlimm seien ihrer Auffassung nach die „Krankheiten“ unserer Zeit wie Orientierungslosigkeit und die Furcht vor Kränkung, die mit der Suche nach Liebe oft einhergehen würden.

Facebook als Beziehungskiller
„In meiner täglichen Praxis kommen natürlich auch all jene Menschen, die mit Dating-Plattformen Erfahrungen und Schwierigkeiten haben. Facebook hat sich dabei als besonders große Schwierigkeit in Sachen verbindliche Bindungen herausgestellt“, meint Senger auf die Frage, ob soziale Medien nicht doch auch eine gute Orientierungshilfe sein könnten. Und führt aus: „Wenn ein Pärchen sich zusammentut und beide auf Facebook sind, und der eine schreibt in seinem Profil ,in einer Beziehung‘ und der andere nicht, obwohl beide sich zueinander hingezogen fühlen und verliebt sind, schreibt der eine vom ,Ich‘ und der andere vom ,Wir‘. Das kann kränken und verletzen.“

Besonders Männer würden darunter leiden, wenn die Frau, die sie als Partnerin sehen, weiterhin erotische Aufnahmen von sich auf Facebook stellt, um möglichst viele Likes zu bekommen. „Da geht es nicht um Nacktfotos, sondern lediglich um kecke Bilder. Wenn es dann in den Kommentaren heißt: ,Boah, das Bild ist toll‘ oder ,sexy‘, hinterlässt das Verletzungen“, erklärt die Psychotherapeutin weiter.

Wischen nach der wahren Liebe
Tinder sieht Senger als besonders problematisch an, sie habe sich die App aber schon aus Neugier selbst angeschaut und weiß, wie sie funktioniert. Die 80-Jährige kann dem „Wischen nach der wahren Liebe“ wirklich nicht viel abgewinnen und sieht rot: „Das kommt für mich nicht infrage. Das ist eine Plattform, die Kränkungen vorprogrammiert. Oft wird man weggewischt, obwohl man das Gefühl hat, man kennt mich gar nicht näher. Es geht hier lediglich um Momentaufnahmen und nicht um echte Eindrücke. Die App gibt Pseudo-Orientierungen und ist auch immer mit dem Gedanken verbunden, dass es vielleicht noch etwas Besseres geben wird: einen Traummann oder eine Traumfrau, und bis man die findet, wisch ich dich einfach weg.“

Die Orientierungslosigkeit, die solche Plattformen mit sich bringen würde, ginge so weit, dass man gar keine konkreten Vorstellungen mehr davon habe, was man wirklich will, betont die „Krone“-Kolumnistin, die mehr als zweitausend Geschichten über die Sehnsüchte, Ängste und Probleme von Frauen und Männern auf der Suche nach Liebe geschrieben hat. 

„Es besteht ein Überangebot auf Tinder“, das Entscheidungen massiv erschweren würde. „Wenn ich zwischen acht verschiedenen T-Shirts wählen muss, und ich entscheide mich dann für eines, bin ich mir sicherer, wie wenn ich aus 148 Varianten wählen muss.“

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