Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Keine Pause. Keine Zeit zum Durchatmen, zum Reflektieren oder zum Gedankenversinken. Wenn Baschar vor dem Regal steht, dann gibt es nur Akkordarbeit. „Die Finger müssen immer an der Ware sein - IMMER“, schreit ihn der Filialleiter an. Als Baschar bei den Fertigsuppen steht, wagt er für wenige Sekunden den Griff in seine Manteltasche. Er hat sich in der offiziellen Pause am Vortag etwas notiert, was ihm das Einschlichten erleichtern soll. Da er sich die Notizen nicht gemerkt hat, muss er nachschauen. Doch sein Chef ist erbarmungslos. „Wenn du Ware einschlichtest und auf der Leiter stehst, dann musst du nicht nachdenken. Tu es einfach, das kann jeder Idiot. Mit deinen Zetteln kannst du in der Mittagspause herumspielen.“
Erinnerungen an eine Erniedrigung, anders kann man das kaum nennen. Während wir durch den Westen Wiens fahren und die herbstlichen Nebelschwaden an uns vorüberziehen, erzählt mir der gebürtige Syrer von seinen Erfahrungen in einer bekannten Supermarktkette. Dass er als Uber-Fahrer überhaupt dort landete, lag an der Pandemie. Nur ein Jahr war er für die Mietwagenkette im Dienst, als die Rollläden rundum dicht gemacht wurden und Baschar sich etwas überlegen musste, um seine Frau und die - damals noch - vier Kinder zu ernähren. „Die Ausbildung im Supermarkt war das einzige, was man schnell machen konnte und wo die Leute sofort gebraucht wurden. Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm werden würde.“
Baschar fährt meist in der Nacht und hat allerhand erlebt, doch die Arbeitsbedingungen im Supermarkt wären schlimmer gewesen als der betrunkenste Fahrgast mit Tourette-Syndrom. „Um 6 Uhr morgens war immer Dienstbeginn. Einmal bin ich kurz in einem Stau gestanden, weil es einen Unfall gab. Ich wusste, der Chef duldet keine Verspätungen. Also gab ich Gas, parkte ein und lief zum Hintereingang. Es war 6.01 Uhr und er stand mit strengem Blick da. Tippte unaufhörlich auf seine Armbanduhr.“ Pseudokluge Ratschläge wie „fahr halt nächstes Mal früher los“ oder „so wird das nix, mit dir und uns“ waren die Folge. „In der Mittagspause war mir dort so fad, dass ich oft freiwillig ein bisschen geräumt habe. Aber das hat mir niemand gedankt. Es wurde immer nur kritisiert.“
Als die beiden ersten Lockdowns vorüber waren und die Welt sich langsam wieder aus ihrem Winterschlaf schälte, zog Baschar unmittelbar die Konsequenzen. „Ich wurde schikaniert, es war immer Stress und schlechte Stimmung - und das alles für 1200 Euro netto. Nein danke. Als ich merkte, dass es zunehmend Fahrgäste gibt und alles wieder aufsperrt, habe ich sofort gekündigt.“ Mit Autoritäten und unsozialem Umgang hat Baschar so seine Probleme. Als er 2015 als Kriegsflüchtling nach Wien kam, bot er sofort seine Dienste als Fahrer an. Zuerst bei der Wiener Rettung, dann in Liesing bei der Wiener Tafel. Danach bot sich die Chance als Mietwagenfahrer an und außerhalb seiner Stunden im Supermarkt büffelte er für den Taxischein, den seit einer Novelle auch Uber-Fahrer benötigen.
Mittlerweile fährt er nicht mehr in Wien, sondern in Niederösterreich. Dass er mich von Rudolfsheim-Fünfhaus in seine alte Heimat Meidling kutschiert ist Zufall, weil er gerade eine Fahrt vom Land in die Stadt hatte. „Ich liebe Wien, aber ich muss hier nicht wohnen. Die Preise sind brutal. Mittlerweile habe ich fünf Kinder. Mit vier Kindern wohnten wir in einer kleinen Wohnung in Meidling, dann in einer etwas größeren in Mödling und jetzt haben wir ein Haus in Sollenau. Wir haben viel mehr Platz und zahlen deshalb nicht mehr als in Meidling. Außerdem wachsen die Kinder in der Natur auf.“ Nicht zuletzt hat sein Standort auch berufliche Vorteile. „Es sind zwar viel weniger Fahrten, aber dafür kaum eine unter 20 oder 25 Euro. Das zahlt sich viel mehr aus.“ Die Supermarktkarriere hinterließ ihre Spuren: „In diesem Laden kaufe ich noch nicht einmal mehr ein …“
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