Walter Hämmerle, Chefredakteur der „Wiener Zeitung“, spricht im Interview mit der „Krone“ über das Gesetz, das den Tod der ältesten Tageszeitung der Welt besiegeln soll - und wie dieser noch verhindert werden kann.
„Krone“: Das Ende der im Eigentum der Republik stehenden „Wiener Zeitung“ in ihrer gewohnten gedruckten Form ist eingeläutet. Nach dem Willen der türkis-grünen Regierung soll sie künftig im Wesentlichen nur noch online erscheinen. In dieser Woche endete die Begutachtungsfrist für den Gesetzesentwurf, der dieses Schicksal besiegeln soll. Machen Ihnen die Stellungnahmen Hoffnung?
Walter Hämmerle: Wenn es nur um die Sache gehen würde, müsste das tatsächlich so sein. Das geplante Gesetz wird sehr breit kritisiert, auch aus dem Lager der beiden Regierungsparteien heraus und interessanterweise auch von Bundesländern und dem Gemeinde- und dem Städtebund. Viele sehen eine Reihe neuer Doppelgleisigkeiten - bei der neuen Veröffentlichungsplattform, in der Journalismusausbildung und der Medienkompetenz. Auch die Content Agentur trifft auf wenig Gegenliebe, etwa im Ministerium von Vizekanzler Werner Kogler. Die heftigste Ablehnung erntet aber zweifellos das geplante Aus für die „Wiener Zeitung“ als Tageszeitung.
Auch Ihre Redaktion hat sich zum Gesetz zu Wort gemeldet, gewarnt, dass es das Ende der tagesaktuellen Berichterstattung der „Wiener Zeitung“ bedeute.
Ja, einfach, weil im neuen Gesetz nicht einmal von Journalismus die Rede ist.
Als sogenannte Zukunft für die „Wiener Zeitung“ wird ein „Aus- und Weiterbildungsmedium“ skizziert. Was sollte man sich darunter vorstellen?
Gute Frage, das ist tatsächlich völlig offen. Manchen schwebt hier eine Plattform für politische Bildung vor. Das kann man gut finden oder schlecht, es kann nie genug politische Bildung geben, es hat nur nichts mehr mit dem zu tun, was die „Wiener Zeitung“ als Medium und Marke als älteste noch bestehende Tageszeitung darstellt.
Der Presseclub Concordia befürchtet in seiner Stellungnahme eine „einschneidende Verstaatlichung journalistischer Aus- und Fortbildung“, wenn diese in direkter Weisungslinie des Bundeskanzleramts gebracht werde.
Diese Gefahr besteht, weil die Redaktion bisher kein Mitspracherecht hat und künftig nicht haben soll. Zudem wird die Unabhängigkeit der Redaktion nur am Rande erwähnt, auch nicht strukturell abgesichert.
Guter Journalismus ist lästig für Regierungen und alle Mächtigen. Er muss es sein.
Walter Hämmerle, Chefredakteur der „Wiener Zeitung“
Man fragt sich als Journalist, was hat denn die Redaktion der „Wiener Zeitung“ der Regierung angetan, dass sie sich dieser ältesten Tageszeitung der Welt wie eines lästigen und ungeliebten Anhängsels entledigen will.
Guter Journalismus ist per se lästig für Regierungen und alle Mächtigen, er muss es sein. Und kluge Politiker wissen, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Politik à la longue von unbequemem und unabhängigem Journalismus profitieren. So gesehen könnte man das fast als Kompliment für die Redaktion interpretieren. Ich befürchte allerdings, zur Ungeliebtheit kommt ein noch größeres Maß an Gleichgültigkeit und Desinteresse der Eigentümervertreter. Der Umgang mit der „Wiener Zeitung“ ist ein Musterbeispiel, wie der Staat mit öffentlichem Eigentum nicht wirtschaften soll und darf. Das erinnert fast an die 1990er, als die traditionsreiche Creditanstalt erst aus parteipolitischen Gründen an einen Mitbewerber verkauft und dann ins Ausland verscherbelt wurde.
Manche sprechen in Zusammenhang mit den Eingriffsversuchen der Politik beim ORF und dem Todesurteil für die zu wenig auf Regierungskurs segelnde „Wiener Zeitung“ von Orbánisierung der österreichischen Medienlandschaft.
Jede Politik steht immer und überall in Versuchung, direkten oder indirekten Einfluss auf Medien zu nehmen. Ich denke aber, dass zwischen Österreich und Ungarn aus vielen Gründen Welten liegen. Niemand kann hierzulande einfach nach seinem Gusto durchregieren, und wenn es einer versuchen sollte, dann würde das an den unabhängigen Institutionen und Medien, vor allem aber an den Bürgern scheitern. Aber richtig ist: Dieser Entwurf würde, böse Absichten vorausgesetzt, tatsächlich viel Missbrauch ermöglichen.
Was müsste geschehen, um die „Wiener Zeitung“ nachhaltig zu retten, den Journalistinnen und Journalisten eine Zukunft über 2022 hinaus zu garantieren?
Der Eigentümer, das heißt die Verantwortlichen im Bundeskanzleramt, müssten endlich alle potenziellen Investoren, Partner und Unterstützer an einem Tisch versammeln und diesen die echte Chance geben, ernsthafte Szenarien für einen Fortbestand zu entwickeln. Mit dem Ziel, binnen eines klar definierten Zeitraums auf völlig eigenen Beinen zu stehen. Doch bisher ließ man diese Interessenten einfach gegen Gummiwände rennen. Über die Motive dafür kann ich nur rätseln, verstehen kann ich sie nicht.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.