Der Abschlussbericht einer Dreierkommission zeigt, wie schlimm die Lage in kirchlichen Heimen in Tirol wirklich war. Innsbrucks Bischof Hermann Glettler sieht ein „pädagogisches Totalversagen“.
Eine zweijährige wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse in Tiroler Kinderheimen - allen voran Martinsbühel in Zirl - zeigt schonungslos auf, welchem Schreckensregime die damals Minderjährigen schutzlos ausgeliefert waren. Weil das Schweizer Mutterkloster der Benediktinerinnen Akten verschwinden ließ, stützten sich die Forschungen auf Interviews von 75 Heimbewohnerinnen und -bewohnern.
Dramatische Schilderungen
Die Schilderungen zeigten, „dass die Ordensangehörigen von den schutzbefohlenen Kindern stets Gehorsam, Demut, Fleiß und Frömmigkeit verlangt hatten. Weder die fehlende erzieherische Ausbildung der damaligen Ordensfrauen, noch die Gruppengröße - in Martinsbühel musste etwa eine Schwester in den 1970er Jahren bis zu 50 Mädchen betreuen - waren für die Kinder und deren Bedürfnisse förderlich“, heißt es in dem Bericht mit dem Titel „Demut lernen“.
Es wird aufgezeigt, dass die Strukturen in den Heimen verschränkt mit den strukturellen Bedingungen von außen - dem Land, der Kirche -, aber auch der Interaktion von Ordensschwestern und deren Übergeordneten Auswirkungen auf die Heimkinder hatten.
Margret Aull, Vorsitzende der Dreierkommission
„Angstbehaftete und gewaltgeprägte Atmosphäre“
„Es herrschte eine angstbehaftete und gewaltgeprägte Atmosphäre vor“, fasst Margret Aull, Vorsitzende der Dreierkommission Martinsbühel zusammen. Neben der strukturellen Gewalt wurde auch von psychischer (beispielsweise das Einreden von Schuldgefühlen, etc.) sowie physischer Gewalt (beispielsweise Ohrfeigen, Schläge, etc.) berichtet. Auch über sexualisierte Gewalt wurde erzählt.
„Betroffenen eine Stimme gegeben“
Die grundsätzlichen strukturellen Mängel waren vielfältig. Betroffene berichteten, dass die damalige Jugendfürsorge des Landes und auch die jeweiligen Schulbehörden nicht hinschauten. „Mit dem vom Land Tirol und der Diözese Innsbruck beauftragten Forschungsprojekt haben wir nun jenen eine Stimme gegeben, die zu lange nicht gesehen und gehört wurden“, sagt Aull.
Wichtig ist es, dem geschehenen Unrecht die nötige Aufmerksamkeit zu geben.
Bischof Hermann Glettler
Bischof: „Pädagogisches Totalversagen“
„Die teils erschütternden Berichte zeigen pädagogisches Totalversagen - das gilt für kirchliche und staatliche Einrichtungen. Die Umstände, die dazu geführt haben, werden teilweise im Forschungsbericht dargelegt. Wichtig ist es, dem geschehenen Unrecht die nötige Aufmerksamkeit zu geben“, betont indes Innsbrucks Diözesanbischof Hermann Glettler.
„Mein Mitgefühl gilt allen, die in den Heimen traumatisiert wurden“, so Glettler, der auf die Einrichtung einer unabhängigen Opferschutzkommission verwies. „Zahlreiche Personen, von denen einige im Bericht ihre dramatischen Erfahrungen schildern, wurden von dieser Kommission angehört und haben Unterstützungszahlungen erhalten. Ebenso wichtig war die sofortige Einrichtung von Ombudsstellen in allen Diözesen und die Erarbeitung von Präventionskonzepten, die ständig aktualisiert werden“, meinte er.
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