Angst? Respekt? Faszination? Kopfschütteln? Neugier? Es gibt viele Reaktionen, die die BMW M 1000 R bei Menschen auslöst. Einige davon auch bei mir. Und vor allem: Ich wollte das fahren! 210 PS, 199 kg, das mächtigste Naked Bike am Markt. Ist das für einen Normalfahrer überhaupt zu bändigen?
Sagen wir so: Man muss sich mit keinem Bike „derrennen“, und sei es noch so stark. Die Frage ist eher: Kann man damit flott und mit Spaß fahren, ohne ständig sein Leben zu riskieren. Wenn man es mit Standgas über die Landstraße trägt, wird vermutlich auch ein Anfänger die Fahrt auf einem MotoGP-Bike heil überstehen. Aber darauf kommt es ja nicht an.
Voller Spaß für jedes Level
Und damit sind wir bei der BMW M 1000 R. Ein Hyper-Naked-Bike, mit dem Profis unfassbares anstellen können, das aber auch Normalos zu Glücksgefühlen verhilft, denn die Elektronik ist maximal ausgefeilt (übertroffen nur noch von der S 1000 RR mit ihrem zusätzlichen Lenkwinkelsensor). Und derart gefinkelt, dass sie Anfänger unterstützt, Ambitionierte aufs nächste Level hebt und Könner nicht dazu bringt, alles abschalten zu wollen, sondern Anerkennung zu zollen (okay, das ist jetzt Hörensagen). Zur Elektronik weiter unten mehr.
Motor aus der S 1000 RR, aber …
Bei BMW ist Schluss mit Zurückhaltung. Haben sie bei der S 1000 R noch den Motor der RR auf den Einsatz im Naked Bike adaptiert, hat die M 1000 R die aktuelle Version des RR-Triebwerks bekommen. Damit also auch die Shift Cam, also die verstellbare Nockenwelle. Die sorgt dafür, dass nicht nur im oberen Drehzahlbereich die Engerln singen, sondern die Kraft auch aus der Tiefe drückt. Ab 5500/min. liegt immer ein maximales Drehmoment von über 100 Nm an, das Maximum von 113 Nm wird bei 11.000/min. erreicht.
Der große Unterschied zur RR: Die Sekundärübersetzung ist um einen Zacken am Hinterrad kürzer, wodurch die R noch besser anschiebt als die Rennschwester. Theoretisch kann man sich in Österreich das Schalten komplett sparen, denn der erste Gang reicht bis 130 km/h. Apropos: Der Gangwechsel ist ein absoluter Genuss: Der Quickshifter arbeitet perfekt und ermöglicht sogar bei voller Beschleunigung ein smoothes Runterschalten.
Vollgas im sechsten Gang heißt dann 280 km/h. Die Maximalleistung bringt der 999-ccm-Reihenvierzylinder bei 13.750/min, drehen lässt er sich bis 14.600/min.
Wenn man bei der Gasannahme nicht den schärfsten Modus wählt, ist die Power mit dem Handgelenk gut zu dosieren (obwohl der Gasgriff sehr leichtgängig ist). Allerdings überträgt der Motor vor allem bei mittleren Drehzahlen leichte Vibrationen in den breiten Lenker. Das stört beim Fahren per se nicht, aber bringt die (serienmäßigen) extrem coolen Rückspiegel am Lenkerende zum Vibrieren. Man erkennt beim Blick zurück also nicht sonderlich viel.
Elektronisches Fahrwerk serienmäßig
Die M 1000 R kommt generell mit dem semiaktiven DDC-Fahrwerk (Dynamic Damping Control), also mit geregelten Stoßdämpfern und einstellbarer Federvorspannung an Schwinge und Gabel. Je nach Fahrmodus (Rain, Road, Dynamic, Race) gehen die adaptiven Dämpfer von einer unterschiedlichen Härte aus. In den zu den serienmäßigen „Fahrmodi Pro“ gehörenden Race-Pro-Modi 1 bis 3 kann man manuell in die Dämpfung eingreifen und auch ein Dämpfungsniveau fixieren, sprich: das Fahrwerk so einstellen, als wäre es nicht adaptiv.
Nur fliegen ist schöner?
Die M 1000 R hat ziemlich mächtige Flügel an den Seiten, sogenannte Winglets. Das irritiert manche, schließlich ist es doch ein Naked Bike, also unverkleidet. Genau genommen sind sie hier aber sogar noch wichtiger als bei Rennmotorrädern, weil der Auftrieb bei Naked Bikes wegen der fehlenden Verkleidung und der aufrechteren Sitzposition generell höher ist. Angesichts der brachialen Fahrleistungen braucht es Maßnahmen, um das Bike stabil fahrbar zu machen und auch bei starker Beschleunigung das Vorderrad an einer übermäßigen Wheelieneigung zu hindern (Winglets tragen bei 220 km/h elf Kilogramm Abtrieb bei).
Dazu trägt auch die Ganze Geometrie bei. Und natürlich die Elektronik. So kann man kräftig am Gasgriff drehen, ohne dass plötzlich nur noch das Hinterrad Bodenkontakt hat.
Segen der Elektronik
Die elektronische Wheelie-Kontrolle kann aber noch mehr: Es lässt sich einstellen, wie hoch das Vorderrad steigen kann. So kann man sich ans Wheelen herantasten, ohne Angst haben zu müssen, dass man überreißt und hinten runterfällt.
Dank der Dynamischen Traktionskontrolle braucht man auch beim Gasgeben in Schräglage keine Angst vor dem Wegrutschen oder einem Highsider zu haben, denn die Elektronik errechnet sich dank 6-Achsen-Sensorbox, wie viel Kraft das Hinterrad übertragen kann. Allerdings sollte man sein Können richtig einschätzen und die Traktionskontrolle so einstellen, dass sie auch früh genug regelt. Denn je nach Regelstufe lässt sie auch Drifts zu. In jedem Fall regelt die DTC sehr geschmeidig, oft sogar kaum merkbar. Was der RR vorbehalten bleibt, ist das Herausbeschleunigen aus Kurven im geregelten Drift - hierzu bräuchte es den Lenkwinkelsensor.
Interessantes Detail: Die Traktion wird über Zündeingriffe geregelt - allerdings nur in zwei Zylindern. Die anderen beiden arbeiten ganz normal weiter.
Im Drift in die Kurve
Das abschalt- und einstellbare ABS arbeitet natürlich ebenfalls schräglagenabhängig und verhindert (im Rahmen der physikalischen Möglichkeiten) ein Überbremsen in der Kurve.
Nichts für Anfänger, aber ein tolles Tool für versierte Biker, die sich fahrtechnisch weiterentwickeln wollen, ist der Brake Slide Assist. Diese ABS-Funktion erlaubt es, auf der Bremse in eine Kurve hineinzudriften, wenn man (im entsprechenden Modus) voll auf das Bremspedal tritt. Wie quer das Bike dabei kommt, regelt die Elektronik. Allerdings gilt auch hier: Die RR kann das dank Lenkwinkelsensor besser.
Eine weitere Besonderheit ist die Motorschleppmomentregelung (MSR). Wie üblich ist die Bremswirkung des Motors beim Vom-Gas-Gehen je nach Vorlieben dreistufig einstellbar. Neu ist, dass die Elektronik das Bremsmoment superfein und schräglagenabhängig regelt. Nur dadurch ist ein Brake Slide Assist überhaupt möglich. Das Schleppmoment wird sogar bei abgehobenem Hinterrad noch geregelt.
Der Preis
Die BMW M 1000 R kommt zur Saison 2023 zu den Händlern. Der Basispreis beträgt 27.250 Euro. Immer an Bord sind u.a. ABS Pro und das komplette Elektronikpaket, DDC, die leichte M-Batterie, Schmiederäder, Heizgriffe, Tempomat, Titanschalldämpfer oder auch das hervorragend ablesbare 6,5-Zoll-TFT-Display mit verschiedenen Ansichten. Auch die M Bremsen mit zwei 5 mm dicken 320er-Scheiben vorn sind Serie.
6656 Euro Aufpreis kostet das M Competition Paket, das M Carbonräder, M Fahrerfußrasten, M Carbon Windabweiser, den Freischaltcode für den GPS-Laptrigger und weitere Carbonteile umfasst. Der Akrapovic geht extra.
Fahrzit
Die BMW M 1000 R ist ein extrem sportliches Bike, eine echte Hypernaked. Die Sitzposition ist sportlich, der Lenker breit, die Rückspiegel top fürs Posen. Die Elektronik ist großartig. Trotz der auffälligen Optik und der brachialen Motorleistung lässt sich die M R auch superzahm und supersanft bewegen. Sie stresst einen auf der Heimfahrt nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht. Aber sie bietet auch alles, was man sich als Ambitionierter wünschen kann. Dazwischen holt sie jeden Fahrer genau dort ab, wo er ist und bietet ihm die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln.
Ja, sie ist zu bändigen. Aber Vorsicht, ein Assistenzsystem fehlt ihr: der für den Charakter des Fahrers. Eine Schwäche in dem Bereich kann fatal sein und zu einem unsanften Abflug bzw. Einschlag führen. In dem Fall wäre dann fliegen nicht schöner. Ansonsten darf man den bekannten Spruch durchaus infrage stellen.
Warum?
Die Stärkste
Sehr gut fahrbar
Top ausgestattet
Warum nicht?
Weil die wenigsten ihr Potential wirklich erfahren können (macht aber nichts)
Oder vielleicht …
… Ducati Streetfighter V4, aber auch BMW S 1000 R oder BMW S 1000 RR
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