Während sich Familien meist um den Christbaum versammeln und das neue Jahr begießen, hadern andere mit Einsamkeit. Das spüren die Mitarbeiter der Telefonseelsorge in Vorarlberg jetzt schon.
Ein 15-jähriges Mädchen meldet sich im Chat der Telefonseelsorge. Sie erzählt, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Sie ist verzweifelt, hilflos - die Trauer groß. Eine Zeit voller Hoffen und Bangen liegt hinter ihr. Die Erkenntnis über den bevorstehenden Tod von Mama raubt ihr die letzte Kraft. Sie sucht Halt und jemanden zum Reden.
Ein Hilferuf! Sepp Gröfler von der Telefonseelsorge meldet sich am anderen Ende der Leitung. Er hört zu und versucht ihr auf einfühlsame Weise Mut zu machen. Er muss versuchen, auf die schwierigen Fragen nach dem „Warum?“ und dem „Wie geht es weiter?“ eine Antwort zu finden.
Schließlich ist des so weit. Eine große Leere tritt ein. Gröfler begleitet das Mädchen bis nach dem Tod der Mutter und schafft es, der 15-Jährigen die Angst zu nehmen und sogar ein wenig Zuversicht zu schenken.
Für Sepp Gröfler war dieser „Fall“ einer der eindrücklichsten Erlebnisse in seiner 22-jährigen Karriere als Geschäftsführer und Berater bei der Telefonseelsorge. Weihnachten und der Jahreswechsel lassen viele Menschen in ein emotionales Loch fallen. „Aktuell spüren wir wieder eine leichte Zunahme der Anrufe.“
„Meist kommen die Krisen aber erst später zum Ausdruck. Dann, wenn sich die hohen Erwartungen nicht erfüllt haben, wenn die Einsamkeit doppelt schwer zu wiegen beginnt, wenn rundherum die heile Welt, das Fest der Familie und Zweisamkeit einem aus allen Ecken entgegenspringt.“
Heuer wird der finanzielle Druck durch die Teuerung zusätzlich zu einer großen Belastung. „Menschen, die bisher schon unter schwierigen finanziellen Verhältnissen gelitten haben, sind inzwischen völlig am Boden. Es war lange Zeit möglich durchzuhalten, bis es ,besser wird‘, inzwischen reiht sich aber eine Krise an die nächste, und immer mehr Menschen verlieren den Boden unter den Füßen.“
„Rekordjahr 2022“
Dieses Jahr dürfte ein „Rekordjahr“ werden. „2022 erwarten wir mit 17.000 Gesprächen die höchste Zahl in der Geschichte der Telefonseelsorge Vorarlberg.“ Die häufigsten Probleme, mit denen sich die Anrufer an die Telefonseelsorge wenden, sind psychische Belastungen, Einsamkeit, Probleme in der Partnerschaft oder der Familie, Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen.
Wenn das Leben erdrückend scheint
Besonders schwierig wird es für die Helfer am Telefon, wenn es um Suizid geht. Zum Glück haben derartige Anrufe abgenommen - von 275 im Jahr 2019 auf rund 200 (vorläufig) im heurigen Jahr. „Anders ist die Situation bei Jugendlichen. Da hatten wir früher zwei bis drei Anrufe im Monat, inzwischen sind es vier bis sechs Gespräche zu diesem Thema.“
Hier gilt es für die Mitarbeiter besonders behutsam vorzugehen. „Wir versuchen den Grad der Gefährdung abzufragen, ohne zu beschwichtigen, zu vertrösten, und weiterführende Hilfen zugänglich zu machen. Wir machen aber nichts gegen den Willen der Anrufer. Wenn er oder sie keine Hilfe will, schicken wir auch niemanden. Die wenigsten Menschen wollen sterben, sie können nur so nicht weiterleben.“
Die Kunst der Berater sei es, zu motivieren, einen neuen ersten Schritt zu probieren. „Übers Reden und Erzählen erleben viele einmal eine erste Entlastung. Sie sollen Mut schöpfen, sich an weiterführende Beratungsangebote zu wenden.“ Eine wichtige Website für Betroffene, Angehörige oder Freunde ist auch bittelebe.at. Dort leisten stille Helden Großartiges - nicht nur zu Weihnachten.
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