8,8% Wahlbeteiligung
Wahl-Farce in Tunesien: Kaum jemand ging abstimmen
Tunesien galt seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings 2011 als Hoffnungsträger für eine Demokratisierung der Region. Doch nach der boykottierten Parlamentswahl, die am Samstag abgehalten wurde, könnte sich das nordafrikanische Land endgültig in ein autokratisch regierten Staat verwandeln. Nicht einmal jeder zehnte Wahlberechtigte hat seine Stimme abgegeben.
Die Wahlbeteiligung habe bei 8,8 Prozent gelegen, teilte die Wahlkommission nach Schließung der Wahllokale am Samstag mit. Nach vorläufigen Ergebnissen haben demnach rund 803.000 Tunesier ihre Stimme abgegeben. In dem Land leben rund zwölf Millionen Menschen. Die meisten Parteien hatten zum Boykott der Wahl aufgerufen.
Die in der Rettungsfront vereinte Opposition rief Präsident Kais Saied zum Amtsverzicht auf. „Was heute passiert ist, gleicht einem Erdbeben“, sagte der Chef der Rettungsfront, Nejib Chebbi. „Von diesem Moment an halten wir Saied für einen illegitimen Präsidenten und fordern seinen Rücktritt nach diesem Fiasko.“
Noch am Samstagmorgen hatte der Saied an die Tunesier appelliert, wählen zu gehen. An der letzten Parlamentswahl 2019 hatten sich 40 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt. Die Rettungsfront rief zu Protesten und Sitzstreiks auf. Ihr gehören mehrere Parteien an, darunter die islamistische Ennahda, die im alten Parlament die größte Fraktion stellte.
Präsident regiert seit dem Vorjahr mittels Dekreten
Präsident Saied hatte im vergangenen Jahr das Parlament aufgelöst und regiert seitdem per Dekret. Mit einer Verfassungsreform hat er die präsidialen Vollmachten ausgeweitet. So wählt etwa der Präsident den Ministerpräsidenten aus. Um die 161 Parlamentssitze bewerben sich 1058 meist Partei-ungebundene Kandidaten, darunter 120 Frauen. Saied hat die von ihm durchgesetzten Reformen als notwendig gerechtfertigt, um Korruption, politischen Stillstand und wirtschaftliche Stagnation zu überwinden. Anfangs wurden seine Maßnahmen von Teilen der Bevölkerung bejubelt. Bürgerrechtsaktivisten halten ihm nun vor, demokratische Rechte immer weiter einzuschränken. Tunesiens wichtigste Journalistengewerkschaft warf den Behörden vor, eine kritische Berichterstattung über den Wahlkampf verhindert zu haben.
Zur politischen gesellt sich auch die Wirtschaftskrise des Landes und eine wachsende Armut dazu. Das Land kämpft mit einer Inflation von knapp zehn Prozent, während der Coronavirus-Pandemie schrumpfte die Wirtschaft um acht Prozent. Ende September war es zu Protesten gegen starke Preissteigerungen und Lebensmittelknappheit gekommen. Die von Saied eingesetzte Regierung bemüht sich um Kredite des Internationalen Währungsfonds. Die aber sind an unpopuläre Einschnitte bei den Staatsausgaben gebunden.
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