Beihilfe zu Mord

2 Jahre Bewährungsstrafe für frühere KZ-Sekretärin

Ausland
20.12.2022 12:41

Eine 97-jährige ehemalige Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof im heutigen Polen ist am Dienstag der Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen schuldig gesprochen worden. Das Landgericht Itzehoe in Schleswig-Holstein verurteilte Irmgard F. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. F. arbeitete von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung Inhaftierter Hilfe geleistet.

Die Angeklagte verfolgte die Urteilsverkündung, so wie alle Verhandlungstage zuvor, sehr aufmerksam. Gefühlsregungen waren ihr dabei nie anzusehen. Ein Mitarbeiter des gerichtsmedizinischen Dienst schob sie im Rollstuhl in den Verhandlungssaal.

Im KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den Todesmärschen zu Kriegsende waren nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg etwa 65.000 Menschen gestorben. Weil F. zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt. Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

Irmgard F. ist der Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen schuldig gesprochen worden. (Bild: APA/AFP/POOL/Marcus Brandt)
Irmgard F. ist der Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen schuldig gesprochen worden.

Auschwitz Komitee: „Gerechtigkeit hat kein Verfallsdatum“
„Die Gerechtigkeit hat kein Verfallsdatum und ein langes Gedächtnis - wenn es Menschen gibt, die sich dieser Haltung verpflichtet fühlen. Das ist gerade in diesen Tagen ein weithin sichtbares Signal“, betone Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees. Staatsanwältin Maxi Wantzen äußerte sich zufrieden mit dem Urteil: „Nicht nur, weil es dem gefolgt ist, was ich beantragt habe, sondern weil ich es wichtig finde, dass wir auch heute noch überhaupt zu einem Schuldspruch gekommen sind.“

Verteidiger Wolf Molkentin sagte: „Das Urteil ist von uns so erwartet worden.“ Er bekräftigte, dass er und sein Kollege Niklas Weber „unüberwindliche Zweifel“ bei der Schuldfrage sähen. „Wir wundern uns ein bisschen darüber, dass die von uns aufgeworfenen Fragen in der mündlichen Urteilsbegründung gar keine Rolle gespielt haben“, sagte Molkentin. Eine Aussage zu einer möglichen Revision machte er nicht.

Die 97-Jährige musste sich vor der Jugendkammer des Landgerichts verantworten, weil sie zur Tatzeit noch nicht volljährig gewesen war. (Bild: APA/AFP/POOL/Christian Charisius)
Die 97-Jährige musste sich vor der Jugendkammer des Landgerichts verantworten, weil sie zur Tatzeit noch nicht volljährig gewesen war.

Erst nach Haftbefehl erschien Angeklagte vor Gericht
Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft.

Erst zum Schluss brach F. ihr Schweigen. „Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen“, erklärte die 97-Jährige am Ende des Prozesses. Das Gericht wertete die geäußerte Reue als strafmildernd. „Eine Anerkenntnis eigener Schuld sieht die Kammer darin nicht“, sagte der vorsitzende Richter Dominik Groß. Der Richter ging auch auf die Frage ein, warum ein so aufwendiger Prozess gegen eine fast 100 Jahre alte Person geführt wurde. Er habe stattfinden müssen, weil Mord und Beihilfe zum Mord nicht verjährten. Täter sollten sich zeit ihres Lebens nicht sicher sein, dass sie nicht doch noch verfolgt würden. Der Richter räumte aber ein: „Es ist wirklich sehr spät.“

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt