Bald live in Wien

Kovacs & Wenger versinken in der Melancholie

Wien
21.12.2022 06:01

Sängerin Mira Lu Kovacs (Schmieds Puls, 5KHD) und Musiker Clemens Wenger (5/8erl in Ehr‘n) haben sich in der Pandemie zusammengetan, um eine Platte voller emotionaler, trauriger und ruhiger Coversongs von STS über Kate Bush bis hin zu Jazz-Stands zu fabrizieren. Damit sind die beiden nun auch auf Tour.

Wenn in der Adventzeit der x-te Durchlauf von „Last Christmas“ den Brechreiz auslöst und man die pseudofröhliche Stimmung manch bekannter Weihnachtsklassiker am liebsten nehmen und in den Sondermüll werfen würde, dann wird es Zeit für wahre Ruhe und Besinnlichkeit. Die findet man anno 2022 am ehesten beim Duo Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger. Die beiden Vollblutmusiker haben sich ihre Meriten in unterschiedlichen Projekten wie Schmieds Puls, 5KHD oder 5/8erl in Ehr’n über die Jahre redlich verdient und finden sich immer gerne zum musikalischen Gedankenaustausch zusammen. Kovacs‘ erstes Schmieds-Puls-Album erschien 2013 auf Wengers Label Jazzwerkstatt Records, beim renommierten Glatt & Verkehrt Festival gab es dann 2019 mit „The Urge Of Night“ die erste gemeinsame Bühnenarbeit. „Da haben wir schnell gemerkt, hier ist noch viel mehr möglich“, erklärt Wenger im „Krone“-Gespräch.

Es geht um das Gefühl
Die Corona-Pandemie gab beiden Künstlern den Raum, zu experimentieren und herumzuprobieren und das ohne einen übertrabenden Projektnamen auskommende Ergebnis daraus nennt sich schlichtweg „Sad Songs To Cry To“. Auf dem Album tragen Klavier, Piano und Kovacs’ Stimme unterschiedliche Lieder, deren größte Einigkeit Zwischenmenschlichkeit und Melancholie sind. So finden sich auf dem Werk gleichermaßen Jazz-Standards wie Cover-Versionen von STS, Ton Steine Scherben und Kate Bush, als auch zwei Eigenkompositionen. Ob auf Deutsch oder Englisch, ob in den 60er- oder 80er-Jahren - alles egal. Wichtig war das richtige Gefühl. „Meine Notizen auf Google Drive hießen irgendwann ,A Merry Sad Christmas‘“, verrät Kovacs, „wir merkten dann schnell, dass diese Songs nichts für einen Mai sind, sondern zur Weihnachtszeit rauskommen müssen, wo man eingemummt vor einem hoffentlich laufenden Heizkörper sitzt und traurig ist, weil bald Weihnachten ist.“

Doch warum überhaupt so traurig? „Viele Menschen haben während den Feiertagen mit Depressionen zu kämpfen und diesen Dämonen muss man sich stellen“, so Wenger, „Musik war für mich immer ein guter Katalysator für Emotionen. Dort kann man etwas pathetischer sein als im echten Leben. Wir spielen mit den Gegensätzen.“ Kovacs erinnert sich wohlig an die eigenen Weihnachten zurück. „Die Vergangenheit ist nicht immer einfach zu nehmen. Ich habe wundervolle Kindheitserinnerungen mit tollen Geschenken. Das Materielle hat mich in Ekstase gebracht. Wenn man älter wird, kann man diese hohen Emotionen zum Fest aber nicht mehr so fühlen. Man sehnt sich nach einer Einfachheit, an die man früher geglaubt hat, aber man kann sie nicht erzwingen. Es gibt immer eine Art Vorgabe, wie Familien welche Zeit verbringen sollte und müsste. Von diesem altmodischen Gebilde befreit sich die Menschheit nur langsam.“

Gewaltige Fallhöhe
Wenger stößt vor allem die Doppelmoral zwischen Besinnlichkeit und Kapitalismus sauer auf. „Es werden einem andauernd Freude und Besinnlichkeit suggeriert, aber das löst sich in der Realität nicht für alle ein. Die ganze Weihnachtszeit ist voller Plakate, voller Schmuck und Glanz, voller Werbung. Aber durch diese unendlich scheinende Vorfreude wird auch eine gewaltige Fallhöhe produziert, die völlig übertrieben ist. Das macht dann zumindest mich melancholisch.“ Die „Sad Songs To Cry To“ sind von einer sanften Schönheit und Ruhe durchzogen und ziehen den Hörer, ohne auf Weihnachtstexte und -klischees zu setzen, automatisch in eine Gefühlswelt der behutsamen Besinnlichkeit. „Textlich geht es in allen Liedern um Einsamkeit, Melancholie und Trauerbewältigung. Von Friedrich Hollaender über Joni Mitchell bis hin zu Duke Ellington. Es geht um die inneren Fragen und die Texte sind nie beschreibend. Es werden keine klaren Geschichten erzählt.“

Eine der beeindruckendsten Versionen ist das Cover des 1985er STS-Kulthits „Kalt und kälter“, in dem der Protagonist gegen das innere emotionale Absterben ankämpft. Kovacs rezitiert Steinbäckers Text ganz ohne Dialekt und erleidet durch die neugewonnene Authentizität der Nummer keinen Schiffbruch. „Sprache ist immer speziell. Ich wollte dem Lied mit dem angemessenen Respekt begegnen und kann diesen Dialekt nicht imitieren. Das wäre einfach nur peinlich gewesen. Ich war auf einige fiese Kommentare vorbereitet, aber es kam tatsächlich nichts Böses. Wir können aber auch damit leben, wenn die Nummer nicht jedem gefällt.“ Viel wichtiger sei ohnehin die Botschaft des Songs. „Es ist okay, gewisse Dinge nicht mehr so intensiv zu spüren wie früher. Ich kann mich noch gut an alte Interviews erinnern, in denen ich sagte, ich hätte Angst davor, abgeklärt zu sein. Es ist aber auch in Ordnung, nicht immer komplett zu brennen und sich von manchen Gefühlen und Dingen im Leben verabschieden zu können.“

Keine musikalische Dystopie
Am Weitesten vom Original entfernt ist wohl Simon & Garfunkels Welthit „Bridge Over Troubled Water“, an der die beiden auch am längsten für einen runden Bogen feilen mussten. „Das Lied ist so unglaublich liebevoll und voller Hoffnung“, ist Kovacs begeistert, „danach habe ich mich sehr gesehnt. Es beschreibt eine schöne Beziehung über Freundschaft. Wir durchleben auf dieser Welt auf so vielen Ebenen hässliche Zeiten, wo so viele Menschen zu niemandem nett sind, da ist diese sanfte Suche nach Frieden für mich besonders berührend.“ Komponist Wenger schätzt gerade das Überkandidelte an den zeitlosen Songs. „Unser Album ist keine Dystopie und auch kein Abgesang. Es ist eine Aufforderung, sich der Welt zu stellen, hinzuschauen und Emotionen zuzulassen. Heute darf nichts mehr pathetisch sein. Maximal noch eine Symphonie im Konzerthaus, aber ansonsten regiert überall Zynismus. Manchmal muss man sich schlimmen Emotionen stellen und das geht am besten mit Musik, die nicht dekonstruiert, sondern viel Raum gibt, um sich einzufühlen.“

Bei den Jazz-Standards auf dem Album spürt man förmlich die wohlige Temperatur der Lieder. „,Solitude‘ kenne ich am besten in der Version von Billie Holliday“, erklärt Kovacs, „ihr Leben war alles andere als heil und rosig und das hört man ihr auch an. Ich bin mit diesem Sound nostalgisch verbunden. Er klingt wie ein Glas warme Milch mit Honig.“ Das vor allem von Duke Ellington bekannte „I’m Old Fashioned“ erklingt eher Kinderlied-mäßig, weist aber vielschichtige und komplexe Akkorde auf. „So als würde man eine einfache Geschichte mit vielen Schattierungen erzählen.“ Für das weihnachtliche Live-Programm haben Kovacs und Wenger rund 35 Songs im Talon. „Sad Songs To Cry To“ muss auch nicht das letzte gemeinsame Album sein. „Es hat dieses Mal schön zusammengepasst und die Lieder haben sich und uns gefunden“, freut sich Wenger. Weihnachtliche Melancholie mit etwas Kitsch - aber ohne sich in althergebrachten Klischees zu vergreifen.

Album-Release-Shows
Mira Lu Kovacs und Clemens Wenger präsentieren ihr Album „Sad Songs To Cry To“ noch heute Abend im Innsbrucker Treibhaus, am 22. Dezember im Grazer Orpheum und abschließend am 28. Dezember im Wiener Porgy & Bess.

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