Dunkle Weihnachten
Putins Krieg ändert Traditionen in der Ukraine
Weihnachten in der von der russischen Invasion stark gezeichneten Ukraine ist heuer von Dunkelheit geprägt. Wegen der Angriffe auf die Energie-Infrastruktur fehlt vielerorts der Strom, um Christbäume oder Geschäfte festlich zu beleuchten. Die Ukrainer reagieren darauf mit teilweise kreativen Ideen. Traditionell würde Weihnachten dort erst am 7. Jänner gefeiert werden. Doch der Krieg verändert in diesem Jahr auch das Feierverhalten, um sich von Russland abzugrenzen.
Es braucht eine kleine Kraftanstrengung, um den Weihnachtsbaum in der Ankunftshalle des Kiewer Hauptbahnhofs zum Leuchten zu bringen. Aber Männer, Frauen und Kinder stehen geduldig an, um auf einem Energie-Fahrrad in die Pedale zu treten und damit das verkabelte Prachtstück zum Leuchten zu bringen. Plötzlich wird es auch in der Halle heller - und weihnachtlicher.
Kiew versinkt in bestürzender Dunkelheit
Weil der russische Präsident Wladimir Putin seit Wochen die Energie-Infrastruktur der Ukraine bombardieren lässt, sind die Stromausfälle in Kiew und anderen ukrainischen Städten extrem. Ohne Tageslicht versinkt die Millionenmetropole Kiew in bestürzende Dunkelheit. Menschen mit Taschenlampen suchen in schwarzen Tunneln die Treppenstufen, um nicht zu stürzen. Auf den Straßen gibt es keine durchgängige Beleuchtung, allenfalls kleine Lichtquellen, die aber kaum Orientierung geben. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko verspricht immer wieder, mit Hochdruck an der Instandsetzung der von den „russischen Terroristen“ zerstörten Infrastruktur arbeiten zu lassen. Aber niemand entkommt den Stromausfällen.
Am vergangenen Dienstag musste Klitschko einräumen, dass wegen der russischen Angriffe der Strombedarf der Dreimillionenstadt nur noch zu 50 Prozent gedeckt werden könne. Hilfe gibt es etwa auf dem Bahnhof oder an anderen Punkten der Stadt, wo sich Menschen aufwärmen oder ihre Mobiltelefone und Powerbanks aufladen können. Hotels und Restaurants helfen sich mit Stromgeneratoren; vielerorts leuchten in Gaststuben geschmückte Bäume und dudeln englische Weihnachtslieder über Musikanlagen. Aber die Ängste sind groß, dass nun wieder der Diesel für die Generatoren knapp werden könnte.
Im Kiewer Nobelkaufhaus Tsum an der Prachtstraße Chreschtschatyk stehen die Verkäuferinnen in der Parfümerie und in anderen Edelboutiquen im Dunkeln. Die wenigen Kunden zücken ihre Handys, schalten die Taschenlampen-App an, um Sonnenbrillen oder Handtaschen besser zu sehen. Die Rolltreppen stehen still. Sicherheitsleute passen auf, dass im Dunkeln nichts gestohlen wird - kein Vergleich zu dem gleichnamigen Konsumtempel Tsum in Moskau, wo alles hell ist.
„Wir lassen uns das Weihnachtsfest nicht versauen“
„Wir lassen uns das Weihnachtsfest nicht von diesem Mistkerl im Kreml versauen“, sagt Alla, Inhaberin eines Weinladens Seawine im Zentrum. Sie erzählt, dass ihre Kunden zum Weihnachts- und Neujahrsfest gut Wein und Sekt kaufen. „Wir feiern Weihnachten am 25. Dezember, wie der normale Rest der Welt“, sagt sie. Traditionell richten sich aber die orthodoxen Christen in der Ukraine - wie in Russland - nach dem alten julianischen Kalender und feiern am 7. Jänner.
„Das ist doch die alte Welt, das sind die Ewiggestrigen“, sagt Alla in ihrer Muttersprache Russisch. Sie hat mit der russischen Kultur, das betont sie, jedenfalls abgeschlossen - wegen des Krieges. Weihnachten am 25. Dezember sei auch ein guter Tag, um den Bruch mit dem Kriegstreiber Russland einmal mehr zu konkretisieren.
Fast jeder zweite befürwortet Verlegung von Feierlichkeiten
Alleine ist Alla mit dieser Meinung nicht. In der Ukraine unterstützen nach einer neuen Umfrage der Ratinggroup 44 Prozent die Idee einer Verlegung der Weihnachtsfeiern vom 7. Jänner auf den 25. Dezember, 2017 waren das nur 15 Prozent. Populär ist die Idee vor allem im Westen der Ukraine, in Kiew und unter jüngeren Menschen. Im Gegenzug schrumpft die Mehrheit für die Beibehaltung des orthodoxen Weihnachtsdatums. 55 Prozent der Ukrainer wollen weiter traditionell ausschließlich am 7. Jänner feiern. 2021 waren es noch 71 Prozent.
„Es gibt einen klaren Trend, die Ukraine bewegt ihren Vektor in Richtung Westen“, sagt Ratinggroup-Vizedirektor Ljubomyr Myssiw. „Das ist eine klare Folge des Krieges, das Verhalten ändert sich wegen der russischen Aggression. Viele wollen nicht Weihnachten feiern, wenn die Russen feiern“, sagt er. Gesunken ist nach der Befragung auch der Anteil der Ukrainer, die gegen den 25. Dezember als Weihnachtsfeiertag sind. Nur noch ein knappes Drittel sei dagegen - statt vor einem Jahr 58 Prozent.
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