Eine Woche Kultur in Kathmandu. Zwei Wochen wandern im Annapurna-Gebirge - und plötzlich sitzt unsere Autorin auf 3500 Metern fest. Eine Reportage über die Schönheit und die Tücken des Geburtslandes Buddhas: Nepal.
Das hier neben uns, das sind keine Berge.“ Die junge Frau lebt mit ihren Eltern auf über 2000 Metern, gemeinsam betreiben sie ein Gästehaus auf dem Annapurna-Circuit-Trek. „Wenn im Sommer der Schnee schmilzt, sind es Hügel. Wenn der Schnee bleibt, sind es Berge.“ Ginge es nach der 22-Jährigen aus Timang, wäre mein Heimatbundesland Tirol für seine spektakuläre Hügellandschaft bekannt. Ich erzähle vom Stubaier Gletscher, die Antwort ist fast noch verblüffender: „Der einzige Gletscher ist der Mount Everest.“
Nach Timang war es ein weiter Weg. Mit dem Flieger von Salzburg nach Istanbul, über Dubai in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu. Auf rasante Taxifahrten war ich eingestellt, ebenfalls auf Luftverschmutzung – nicht umsonst trägt die Millionenmetropole den Beinamen „Dustmandu“ (dust = Staub). Und doch verstehe ich jetzt besser denn je die Notwendigkeit der hier viel praktizierten Meditation: Ohne innere Ruhe wird man mitgerissen von dem aufdringlichen Hupen der Mopeds und dem vermüllten Bishnumati-Fluss nahe des Touristenviertels Thamel.
Der Glaube ist AlltagSchlängelt man sich durch die Gassen, findet man überall kleine Schreine, Altäre und Tempel. Einen Besuch wert ist auf jeden Fall der Durbar Square. Früher war der Platz Sitz der Könige, heute zählen der Palast und die zahlreichen Tempel zum Unesco-Weltkulturerbe. Auch Kumari lebt hier: ein junges Mädchen, das bis zur Pubertät als lebende Göttin verehrt wird. Wenn der Guide nur oft genug nach ihr ruft, erscheint sie am Fenster und man erhascht einen Blick, bevor sie sich schlagartig abwendet.
In der Nähe liegt außerdem die „Freak Street“, zu Hippie-Trail-Zeiten die Straße der jungen Haschisch rauchenden Westler. Den ein oder anderen Übriggebliebenen sieht man auch heute noch barfuß, mit halb geschlossenen Augen und langen, verfilzten Haaren durch die Stadt wandern.
Etwas außerhalb, auf einem Hügel liegt die buddhistische Stätte Swayambhunath, auch „Affentempel“ genannt. Durchdringend schauen die riesigen weisen Augen des Buddha über das Tal, Gläubige umkreisen die Gebetsmühlen im Uhrzeigersinn, bunte Gebetsfahnen flattern im Wind. Dem Touri aus Europa ist es aber nicht vergönnt, den Ort wirklich auf sich wirken zu lassen. Geschickt wird man in eine Führung verwickelt, ungefragt gibt es obendrauf eine Klangschalen-Therapie, und kauft man nichts, ist das Gegenüber gar nicht mehr so freundlich.
So liebevoll, achtsam und ruhig wie in den westlichen, weiß gestrichenen Yoga-Studios mit Bambusmobiliar und Meditationsmusik ist es hier nicht. Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, die politische Lage ist instabil, erst 2008 wurde die Monarchie abgeschafft. 2001 wurde beinahe ein Dutzend Mitglieder der königlichen Familie ermordet – offiziell durch den Kronprinzen, welcher selbst einige Tage später seinen Verletzungen erlag. Im Einklang mit der Umgebung zu leben bedeutet – zumindest in Kathmandu – auch einfach im Dreck zu verschwinden.
Die holprigen Straßen Nepals
Und doch regiert in dem Land unglaublich mächtige Schönheit. Mir wurde das im Gebirge klar. Mit dem überfüllten Micro-Van ging es aber erst noch nach Besisahar, dem Ausgangspunkt des mehrtägigen Annapurna-Circuit-Treks. Umgerechnet acht Euro, 180 Kilometer und sieben Stunden Fahrt über staubige Straßen mit Schlaglöchern, einen halben Meter tief. Wie viele Wanderer fuhr ich noch einen Teil der Wanderroute mit dem Jeep hinauf – manche gehen dann erst in Manang auf 3500 Höhenmetern los.
Der Annapurna-Circuit ist eine Rundwanderung um die Annapurna-Gebirgskette. Auf dem Weg von Besisahar (800 Höhenmeter) über den Thorong-La-Pass (5400 Höhenmeter) bis wahlweise etwa Jomsom (2700 Meter, mit Flughafen) kommt man an mehreren Sieben- bzw. Achttausendern vorbei. Neben unzähligen imposanten Wasserfällen wandert man durch dichten Dschungel und faszinierende Bergdörfer mit zahlreichen Übernachtungsmöglichkeiten. In Jagat und Chame etwa gibt es sogar heiße Quellen. Auch hier ist der Glaube allgegenwärtig: Gebetsfahnen und -mühlen säumen die Wege.
Bald zeigte sich mir auch die Zerstörungskraft des Monsuns. Geduldig setzen die Männer einen Stein auf den anderen, um die wunderbar bunten, in der Mitte auseinandergerissenen Häuser wiederaufzubauen. Schon bei der Jeep-Fahrt holperte das Auto über ein paar Meter Straße, die direkt vor meinen Augen erst wieder zusammengeschustert werden musste.
Im Gebirge wohnen die Götter
Geschätzt um die zehn Kilo war mein Rucksack schwer und die Wanderstöcke schonten meine Knie. Nicht viele Touristen tragen hier ihr Gepäck selbst, die meisten bezahlen einen Träger und unterstützen damit die heimische Bevölkerung. Auf dem Weg von Manang zum Tilicho-See auf 4900 Metern traf ich einen 37-Jährigen, der 20 Kilo Kleidung von zwei Frauen trug.
Apropos Tilicho-See: Der Trek dorthin gilt aufgrund der Höhen-Akklimatisation als gute Vorbereitung auf den Thorong-La-Pass. Über schmale Pfade und steile Hänge geht es von Manang über Khangsar und das Tilicho Base Camp. Der Dschungel ist auf dieser Höhe Pinien und Birken gewichen, die Ende September golden leuchten. Unten fließt in viele Arme verzweigt der hellblaue Fluss, am Talschluss erhebt sich weiß und mächtig der 7000er Tilicho Peak. Der Grazer Bergsteiger Heinrich Harrer schrieb 1952 in „Sieben Jahre in Tibet“, dass in jedem Buddhisten der Glaube, „dass der Himalaja der Sitz der Götter ist“, tief verwurzelt sei. Beim Anblick dieser Schneeriesen kommt es auch mir beinah so vor. Eingebettet in Gesteins- und Eismassen ruht auf fast 5000 Metern schließlich der knapp fünf Kilometer lange und 85 Meter tiefe Tilicho-See.
Ein Schneesturm ändert alles
Ich hatte entschieden, zum See zu gehen, obwohl es möglich war, dass ich dann den Pass nicht mehr würde überqueren können– ein Schneesturm war im Anflug. Erst schüttete es in Strömen, dann färbte sich die raue Landschaft weiß. Nach kurzer Zeit lag weißer Matsch auf den Wegen in Manang. Die Dachlawinen knallten auf den Boden, warm war es nur im Schlafsack, wenn man ihn bereits eine Stunde aufgewärmt hatte. Isolierung oder doppelglasige Fenster gibt es nicht, ein kleiner Holzofen muss für den großen Speisesaal ausreichen. Wenn das WLAN funktionierte, versprach der Wetterbericht Besserung erst in mehr als einer Woche. Ich fühlte mich wie in einem überdramatisierenden Hollywood-Katastrophen-Film, als ich notierte: „Wir sind eingeschneit. Weiter unten ist bereits eine Mure abgegangen. Momentan kommen keine Jeeps nach Manang. Es ist kalt. Die ersten Leute werden krank. Wann kommen wir hier weg?“
Nach drei Nächten konnte man mit dem Jeep wieder ein Stück hinunter, bis zum ersten Erdrutsch fahren. Gemeinsam mit ein paar anderen ergriff ich die Möglichkeit – an eine Überschreitung des Passes war so schnell nicht mehr zu denken. Ab Chame sollten dann Jeeps bis ins Tal fahren, das waren vier Stunden Fußmarsch im Regen und über vermurtes Gelände. Unterwegs traf ich auf zwei Grazer, einer von ihnen hatte sich eine Lungenentzündung eingehandelt und wartete seit Tagen auf den Helikopter. In Chame wurde dann klar: Auch hier fahren keine Autos mehr. Erst im Ort Tal, auf 1700 Metern. Also am nächsten Tag noch mal sechs Stunden gehen. Neben und über Dutzende Erdrutsche, vorbei an Hängen, von welchen jeden Moment Geröll hinabstürzen könnte. Durch Wasserfälle waten und auf Pfaden wandern, durch die sich Risse ziehen. Ob in Tal wirklich Jeeps warten würden?
Am Abend sah ich von der Ferne endlich sieben Autos neben dem Trekking-Checkpoint. Rund drei Stunden und eine wagemutige Jeep-Fahrt auf der Ladefläche später war ich erschöpft und ausgehungert im warmen Besisahar.
Melina O. Mitternöckler, Kronen Zeitung
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