Taxi-Geschichten

Ein junger Mann und sein Traum von der Ferne

Wien
09.01.2023 13:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Idris ist als Sohn einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Wien geboren. Nach der mühsamen Pflichtschule kann er endlich Geld verdienen und beginnt eine Lehre als Dachdecker. „Es war ein gefährlicher, aber auch spannender Beruf. Jedenfalls habe ich mit Höhen keine Probleme“, erzählt er mir lachend auf unserer Fahrt Richtung Riemergasse. Ich bin schon etwas spät dran und bitte ihn, das Maximum aus seinem Elektrotaxi herauszuholen. Obwohl er es nie wollte, lenkt er seit mittlerweile 22 Jahren unterschiedliche Autos mit demselben gelben Schild am Dach. „Leidenschaft für das Taxifahren hatte ich nie, es war 2001 eher einer dringend notwendigen Veränderung geschuldet. Dass ich diesen Beruf heute noch immer ausführe, das ist mir einfach passiert.“

Der Dachdecker-Job hat dem jungen Idris gefallen, finanziell war er damit aber nicht auf Rosen gebettet. „Ich verdiente damals rund 16.000 Schilling. Das war nicht schlecht, für die Mühe und den Aufwand aber auch nicht genug.“ Sein Vater drängt ihn zunehmend dazu, mehr als nur den Autoführerschein zu machen. Idris stellt sich anfangs pubertär-bockig gegen diese Pläne, wird aber immer hellhöriger, als er erstmals mit professionellen LKW-Fahrern in Kontakt kommt. „Damals hat man in dem Job rund 50.000 Schilling verdient. Natürlich fuhr man dafür Tag und Nacht, wochenends und feiertags, aber das war wirklich eine Menge Geld.“ Inflationsbereinigt wären 50.000 Schilling heute rund 5.430 Euro. Auch brutto eine schöne Stange Geld, mit der man sehr gut leben kann.

Idris quält sich durch den nicht einfachen Führerschein und bewirbt sich als frischer C-Schein-Besitzer mit stolzgeschwellter Brust bei unterschiedlichen Spediteuren. „Ich habe von großen Fahrten quer durch Europa geträumt. So leicht geht das aber anfangs nicht.“ Tirol statt Türkei und Salzburg statt Schweden sind die Ziele in den ersten Monaten. Vertraut werden mit der Profession, dem ausladenden Vehikel und den schwierigen Gegebenheiten. „Damals war ich nicht begeistert davon, dass ich jeden Tag nur kreuz und quer durch Österreich fuhr“, erinnert sich Idris an seine Lebensumstellung zurück, „aber es war natürlich vernünftig. Man kann einen Frischling nicht sofort quer über den Kontinent schicken.“

Die speziellen Arbeitszeiten stören ihn nicht. Idris ist zu dieser Zeit ledig, kinderlos und abenteuerlustig. Er arbeitet sich in seiner Firma hoch und fährt mit seinem opulenten Sattelschlepper bald über die eng gesteckten Grenzen Österreichs hinaus. „Die meiste Zeit war ich in Deutschland, sehr oft auch in Holland. Durch den großen Hafen ist das Land eine Speditionsdrehscheibe und ich habe dort meist beladen.“ Mit der Ware, laut Idris „von Lebensmittel bis Schrott“, fährt er größtenteils nach Frankreich, Belgien, Dänemark, Spanien und rüber bis nach Großbritannien. „Osteuropa habe ich bewusst ausgelassen. Das war mit meinem Arbeitgeber vereinbart, weil ich überhaupt keine Lust auf einen Grenzstau hatte.“ Dafür erlebt er in England ungeahnte Highlights. „Anfangs fuhr ich naiv auf der falschen Seite, dort wird ja rechts überholt. Aber die Autos blieben galant hinter mir, ganz geduldig. Bei uns würden die Leute dauernd hupen und mir den Mittelfinger zeigen.“

Als LKW-Fahrer darf man heute maximal neun Stunden Lenkzeit pro Tag haben, danach folgen elf Stunden Ruhepause. Darüber wurde vor 20 Jahren milde gelächelt, wie sich Idris erinnert. „Da gab es keine digitalen Fahrtenschreiber. Wir waren auch mal 24 oder 48 Stunden unterwegs. Kurze, 20-minütige Schlafpausen inklusive. Das war hart und ist heute unvorstellbar.“ Die ausufernden Arbeitszeiten beförderten den Simmeringer nach wenigen Jahren ins Taxi. „Heute würde ich nicht mehr wegen des Verdienstes LKW fahren. Freunde von früher beklagen sich darüber, dass sie so schlecht bezahlt werden.“ Idris indes fährt nur tagsüber Taxi und lässt den Wagen auch am Wochenende stehen. „Ich bin mit 45 zwar noch nicht so alt, aber meine Familie ist mir wichtiger und ich habe gerne etwas Freizeit. Bäume ausreißen können andere.“

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