Der Ex-Präsident des deutschen Bundestages hielt die Festrede zur feierlichen Parlamentseröffnung und sprach danach über Gefahren für die Gesellschaft, Krieg, Migration und Österreichs Besonderheit.
Der frühere deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, 80, hielt die Festrede zur Eröffnung des renovierten Parlaments. Danach nahm sich der seit 50 Jahren aktive CDU-Politiker mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka noch Zeit für ein Gespräch über Österreich, Europa, die Welt.
„Krone“: In Ihrer Rede sagten Sie, die Demokratie sei in Gefahr. Warum?
Schäuble: Nehmen wir Donald Trump. Er ist nicht die Ursache, sondern die Spitze des Eisbergs. Die Spaltung der USA ist grauenvoll. Oder schauen Sie auf Bolsonaro in Brasilien. In Österreich und Deutschland geht es noch, aber etwa in Frankreich sind die klassischen Parteien pulverisiert. Demokratie ist nicht voraussetzungslos, sie ist eine Zumutung. Sie ist auch kein Supermarkt, wo man sich bedient. Ohne Zusammenhalt funktioniert Demokratie nicht. Zudem gibt es keine gemeinsame Kommunikation. Die Sozialen Medien und deren Blasen spalten.
Sobotka: Wir stehen vor der Herausforderung, dass sich die nächste Generation die Demokratie quasi wieder mehr aneignen muss. Gut gebildete Jugendliche wägen mehr ab und sind nicht so empfänglich für populistische Strömungen.
Welche Verantwortung tragen die Regierenden?
Schäuble: In Deutschland neigen wir dazu, jedem recht geben zu wollen. Aber Demokratie braucht Führung. Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Everybody’s Darling is everybody’s Ochs. Aber Konfrontation allein nützt gar nichts, nehmen wir den Krieg: Der Kanzler versucht den schmalen Grat zu gehen, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen, aber es gibt eben auch ein Eskalationspotenzial. Putin hat das Tabu gebrochen und Atomwaffen thematisiert.
Die Welt ist sehr komplex geworden. Nicht wenige suchen nach einfachen Antworten.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka
Sobotka: Die Welt ist sehr komplex geworden. Nicht wenige suchen nach einfachen Antworten. Was mir in der Politik zunehmend abgeht, ist das Gemeinsame.
Das Gemeinsame ist nur schwer in Europa zu erzielen.
Schäuble: Wir brauchen auch übergeordnetes Handlungsregelwerk, Beispiel Verteidigung. Nichts gegen österreichische Besonderheiten, aber es geht nur gemeinsam. Komplementär zur Nato muss es eine europäische Lösung geben. Die Länder, die das wollen, müssen vorangehen. Polen mit der größten konventionellen Armee, Deutschland mit der Wirtschafts,- und Frankreich mit der Atomkraft.
Nichts gegen österreichische Besonderheiten, aber bei der Verteidigung braucht es eine gemeinsame Lösung.
Wolfgang Schäuble, Ex-Präsident des Bundestages und Ex-Innenminister
Österreichs Rolle?
Schäuble: Ich bin alt genug, um Österreichs Entwicklung inklusive der immerwährenden Neutralität verfolgt zu haben. Österreich nimmt seine Verantwortungen wahr, auch bei Migration.
Österreich nimmt seine Verantwortungen wahr, auch bei Migration.
Wolfgang Schäuble, deutscher Ex-Bundespräsident
Ungarn hat 50 Asylanträge, Österreich 100.000.
Schäuble: Na, warum soll man nach Ungarn gehen? Aber wenn sich die anderen nicht solidarisch verhalten, dann kann es nicht sein, dass wir sagen, wir verhalten uns auch nicht solidarisch.
Gibt es eine Chance auf ein Ende des Krieges?
Putin hofft auf Ermüdung. In der Ukraine und bei uns. Biden hat ihm klar gemacht, dass die Reaktion auf eine atomare Eskalation für seine konventionellen Streitkräfte verheerend wäre. Das fand ich klug.
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