Das Van Gogh-Rätsel

Die Sache mit dem Ohr

Vorarlberg
15.01.2023 09:55

Der Maler Vincent Van Gogh ist eine faszinierende Persönlichkeit, bis heute umranken sein Leben etliche Mythen und Legenden. Auch „Krone“-Kolumnist Robert Schneider ist vom Malergenie fasziniert. Besonders brennend interessiert ihn die Frage, wie Van Gogh sein rechtes Ohr verloren hat.

Vincent van Gogh hat aus unerwiderter Liebe zu einer Prostituierten aus Arles sein rechtes Ohr abgeschnitten und es ihr überbringen lassen. Die örtliche Zeitung schrieb unter der Rubrik „Chronique locale“: Letzten Sonntag um 23:30 Uhr erschien ein gewisser Vincent Vangogh (sic), Maler, gebürtig aus Holland, im Bordell Nr. 1, verlangte nach einer gewissen Rachel und hat ihr sein Ohr gegeben, indem er sagte: Bewahren Sie diesen Gegenstand sorgfältig auf.

Nun hat vor einigen Jahren das Buch „Van Goghs Ohr“ für Aufsehen gesorgt, indem die beiden Autoren Rita Wildgans und Hans Kaufmann behaupten, nicht der Maler selbst habe sich verstümmelt - sein Freund Paul Gauguin sei es gewesen, und zwar mit dem Degen. Dazu muss man wissen, dass die beiden eine Zeit lang in einer Künstler-WG gelebt haben, dem sogenannten Gelben Haus in Arles, das längst abgerissen ist, ein winziges Eckhäuschen mit zwei Ateliers im Erdgeschoss und zwei Schlafzimmern im 1. Stock. Van Gogh musste immer durch das Schlafzimmer Gauguins, wenn er sich hinlegen wollte.

Ein Selbstporträt des Malers Paul Gauguin. (Bild: picturedesk.com)
Ein Selbstporträt des Malers Paul Gauguin.

Die These vom Malergenie, das sich aus besinnungsloser Liebe ein Ohr abgeschnitten hat und dann im Irrenhaus landete, kam ins Wanken. Das passte nicht zum Nimbus, der um Van Gogh gebastelt worden war. Geht es nach den beiden Autoren, soll es zu einem handfesten Streit zwischen Gauguin und Van Gogh gekommen sein - beide enorm schwierige Persönlichkeiten. Gauguin war leidenschaftlicher Fechter und reiste nach dem Vorfall überstürzt in die Karibik ab. Brieflich bat er, ihm die Ausrüstung samt Degen nachzuschicken. Auf die Bilder, die er in der Arles gemalt hatte, verzichtete er.

Die Tragik ist nicht das abgeschnittene Ohr. Die Tragik ist das Stillschweigen beider über den Hergang der Tat. Gauguin schwieg, weil er mit Van Gogh eigentlich nie etwas zu tun haben wollte, und Van Gogh, weil er Gauguin verehrte wie keinen anderen zeitgenössischen Künstler. Gauguin war Van Goghs unerwiderte Liebe.

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