Gesundheitsminister Johannes Rauch hat das Aus für die Corona-Maßnahmen via „Krone“ kommuniziert. Nun legt er nach: Er will das Gesundheitssystem reformieren. „Auch wenn ich mir den Schädel anrenne.“
„Krone“: Sie haben im Interview mit der „Krone“ das Aus für alle Corona-Maßnahmen und Gesetze angekündigt. Bis wann soll das umgesetzt werden?
Gesundheitsminister Johannes Rauch: Wie viele andere EU-Länder bereiten wir gerade die Rückkehr in den Regelbetrieb vor. Sämtliche Maßnahmen zur Finanzierung von Corona-Schutzimpfungen, Tests und Covid-19-Medikamenten sind derzeit bis 30. Juni befristet. Diese Leistungen in die regulären Strukturen im österreichischen Gesundheitssystem zu integrieren, braucht umfassende juristische und organisatorische Vorbereitungen.
Die Rückkehr zur Normalität wird nicht ihre einzige Sorge sein 2023, im Gesundheits- und Pflegebereich gibt es einen enormen Personalmangel, wie wollen Sie dem beikommen?
Wir haben einen eklatanten, sich verschärfenden Arbeitskräftemangel in vielen Branchen. Das hat viele Ursachen, das hat mit der Demografie zu tun. Darüber kann man trefflich diskutieren, aber Faktum ist, es fehlen überall die Leute. Im Dreigestirn der Zuständigen - Sozialversicherung, Bundesländer und der Bund - müssen wir dringend zu Reformen zu kommen. Das kann ich nur über den Finanzausgleich machen. Das ist der Schlüssel. Die Verteilung der Gelder muss zwingend damit verbunden werden, dass Reformen passieren.
Halten Sie das Gesundheitswesen wirklich für reformierbar?
Es wird reformierbar sein müssen. Wir können noch fünf Jahre so weitermachen wie jetzt. Schaffen wir es nicht, da zu Reformschritten zu kommen, fährt das Ding an die Wand.
Weil es zu teuer wird?
Selbstverständlich und weil es ineffizient wird. Die Gesundheitsausgaben von derzeit 18 Milliarden werden aufgrund der Demografie massiv ansteigen.
Wir können noch fünf Jahre so weitermachen wie jetzt. Schaffen wir es nicht, da zu Reformschritten zu kommen, fährt das Ding an die Wand.
Gesundheitsminister Johannes Rauch pocht auf Reformen.
Wie viel Geld liegt drinnen?
Nageln Sie mich nicht auf Beträge fest, aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Würden sich alle Bundesländer, alle Landesspitäler darauf verständigen, die Medikamentenbeschaffung österreichweit gemeinsam zu machen, würden wir uns viele Millionen Euro ersparen.
Das Gesundheitswesen zu reformieren, ist ein mutiges Unterfangen. Trauen Sie sich das zu?
Die Wahrscheinlichkeit, mit diesem Reformvorhaben zu scheitern, ist hoch. So realistisch bin ich. Aber es muss jemand die Gnade haben, diesen Versuch zu unternehmen. Und wenn ich mir den Schädel anrenne, renne ich ihn mir eben an. Es nicht versucht zu haben, würde ich mir ewig vorhalten. „Nach mir die Sintflut“ - dafür bin ich nicht in die Politik gekommen.
Ist der Föderalismus noch zeitgemäß?
Es muss im Finanzausgleich dafür Sorge getragen werden, dass es mehr Einheitlichkeit und Durchgängigkeit hineinkommt. Das ist ein gemeinsames Anliegen von mir und dem Finanzminister. Das ist eine schwierige Übung. Es geht um Macht und Länderinteressen. Ich bin dafür, das föderalistische System zu modernisieren. Es ist eingefahren. Es hat keine Veränderungen gegeben die letzten 20, 30 Jahre. Wir müssen aufhören mit den geteilten Zuständigkeiten. Ein bisschen ist der Bund zuständig, ein bisschen sind die Länder zuständig. Wir müssen über Verantwortlichkeiten und die Finanzierung reden.
Haben wir eine Zwei-Klassen-Medizin?
In Teilbereichen kann ich das nicht widerlegen. Das ist so. Mein Ziel ist es aber, das zu ändern. Beim Arztbesuch muss die E-Card reichen und nicht die Scheckkarte gebraucht werden.
Die Regierung hat eine Milliarde Euro in die Hand genommen, um zu Verbesserungen im Pflegebereich zu kommen. 570 Millionen Euro waren für den Gehaltszuschuss für Pflegekräfte vorgesehen. Statt für Freude, hat das bei vielen für Ärger gesorgt, weil sie weniger bekommen haben als versprochen. Die „Krone“ hat darüber berichtet. Was ist da schiefgelaufen?
Der Gehaltszuschuss für Pflegekräfte ist ein dringend notwendiges Signal. Wir wollten mit der Pflegemilliarde die Gehälter anheben und haben den Ländern dafür viel Geld zur Verfügung gestellt. Ich habe es geschafft, dass die Geld bekommen für zwei Jahre. Dass diese Zahlungen danach weitergehen, ist Teil der Gespräche über den Finanzausgleich.
Hätten man das nicht zentral steuern können und nicht über neun Länder, welche eigene Richtlinie für die Auszahlung festlegen?
Das muss jedes Land machen, weil jedes Land zuständig ist. Ich kann nicht in die Zuständigkeiten der Bundesländer eingreifen. Ich habe das Geld aufgestellt, aber die Umsetzung ist Länderangelegenheit. Aber 2023 wird der Zuschuss ein Gehaltsbestandteil und man kann Gelder aus 2022 auch 2023 auszahlen. Ich verstehe, dass es Betroffenheiten gibt. Das kann man nachträglich korrigieren. Da gibt es eine hohe Flexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten.
Soll die Pflege weiter aus dem Budget finanziert werden oder braucht es eine Pflege-Versicherung?
Ich werde offen in die Verhandlungen hineingehen. Aber eines ist klar: Es wird mehr Geld brauchen. Das ist unbestritten. Wir werden älter, wir werden mehr pflegebedürftige Menschen haben. Das bedeutet, dass wir mehr Arbeitskräfte brauchen, und die werden wir nicht in Österreich bekommen. Es wird eine aktive Anwerbung von Pflegepersonal im Ausland brauchen, sonst werden wir das nicht schaffen.
Aus den Spitälern kamen zuletzt besorgniserregende Meldungen, auch darüber hat die „Krone“ berichtet. Was wissen Sie darüber?
Die drei Krankheitswellen von Corona, RSV und Influenza haben sich überlagert. Das ist auf eine Situation gestoßen, wo die Spitäler ohnehin seit Jahren überlastet sind. Auch in den Spitälern müssen wir mehr Personal ins System bringen. Das kann ich aber nicht von heute auf morgen herzaubern. Es gibt Verbesserungen in der Ausbildung, es gibt Anreize. Es wirkt, aber es braucht Zeit.
Was machen Sie, um den Medikamenten-Mangel zu beseitigen?
Ich vergleiche das gerne mit der Energieversorgung. Wir hatten eine Abhängigkeit von russischem Gas von 80 Prozent. Wir haben bei einzelnen Medikamenten eine Abhängigkeit von 90 Prozent von einem oder zwei Herstellern in China. Das betrifft ganz Europa. Hier gibt es eine europäische Strategie für den gemeinsamen Medikamenten-Einkauf und die Medikamenten-Bevorratung. Es ist das Ziel, Europa als Standort wieder attraktiver zu machen. Es war nicht klug, alles in Billiglohnländer auszulagern. Die Situation ist für ein einzelnes Land allein nicht lösbar. Das muss man auf EU-Ebene gemeinsam machen.
Die Regierung arbeitet gerade daran, wie man Menschen länger in Beschäftigung halten kann. Dabei wurde die geblockte Altersteilzeit abgeschafft, das sorgt für Kritik. Warum schafft die Regierung dieses beliebte Modell ab?
Die geblockte Altersteilzeit war gut gedacht, hat aber dazu geführt, dass viele Menschen mit 63 in den Ruhestand getreten sind. Ich will den Übergang attraktiv gestalten, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das muss freiwillig sein. Niemand wird gezwungen werden. Wir möchten es attraktiver machen, in die Pension zu gleiten und auch mit 65 ein paar Stunden weiterzuarbeiten. Da gibt es gescheite Lösungen und die werden wir jetzt finden. Was ich aber nicht möchte, ist eine reine Debatte um das Pensionsantrittsalter. Das ist nicht das Thema.
Was haben Sie sich noch vorgenommen für 2023?
Die Teuerung und wie die Menschen damit umgehen können, beschäftigt mich intensiv. Es ist mir nicht egal, ob die Menschen ihre Rechnungen bezahlen können. Es ist mir nicht egal, wie es den Menschen geht. Das ist meine Hauptsorge 2023.
Die Regierung hat zig Milliarden Euro für Anti-Teuerungsmaßnamen ausgegeben. Experten haben kritisiert, dass diese undifferenziert ausgeschüttet wurden. Wird 2023 wieder ein Jahr des Geldausgebens sein?
Ich verstehe die Kritik, dass zu viel mit der Gießkanne gefördert wurde. Sie ist teilweise berechtigt. Die Entscheidung war, schnell zu helfen und Streuverluste in Kauf zu nehmen. Sonst hätte es zu lange gedauert. Ja, ich bin dafür, dass jene die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Sollte es neue Hilfen geben, werden diese zielgerichteter ausbezahlt. Das Geld ist nicht abgeschafft. Es wird eine Aufgabe sein, das Budget wieder in Balance zu bekommen. Ich hoffe, dass die Wirtschaftslage so gut bleibt und wir optimistischer ins neue Jahr gehen können.
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