EU-Binnenmarkt wird 30
Drohender Handelskrieg und andere Schattenseiten
Die EU begeht das 30-Jahre-Jubiläum ihres Binnenmarktes. Das ist aber nicht nur ein Grund zum Feiern, denn ebenso lang gibt es Lohn- und Sozialdumping. Indes besteht die Gefahr eines Subventionswettbewerbs mit den USA
Mit einem knapp 400 Milliarden schweren Investitionsprogramm für das Klima bringt US-Präsident Joe Biden Europa gewaltig in Bedrängnis. Hinter dem harmlos klingenden „Inflation Reduction Act“ verbergen sich Zuschüsse, Steuergutschriften und Darlehen, die, so warnen Expertinnen und Experten, die europäische Wirtschaft gefährden und den Wettbewerb verzerren. Befürchtet werden etwa massive Nachteile für die EU-Autoindustrie, europäische Firmen werden gegenüber der US-Konkurrenz benachteiligt, Produktionsverlagerungen und Jobverluste seien die Folge, so die Kommission in Brüssel.
Frankreich macht Druck für Aktionsplan
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war einer der Ersten, der auf eine entsprechende Antwort der EU drängte. Vor wenigen Tagen beriet er in Paris mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über einen „Made in Europe“-Aktionsplan. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire macht sich dafür stark, dass die EU den Mitgliedsländern „sehr viel massivere Staatshilfen“ erlaube, um heimische Investitionen zu fördern.
Um den Wettbewerb im Binnenmarkt nicht zu verzerren, sind solche Staatshilfen eigentlich verboten. Bereits in der Corona-Krise wurden die Auflagen gelockert, Kommissarin Margrethe Vestager will diese nun weiter anpassen.
Damit die europäische Industrie attraktiv bleibt, ist es notwendig, mit den Angeboten und Anreizen außerhalb der EU mitzuhalten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Aus Deutschland waren bisher stets Warnungen vor einem heiklen Subventionswettbewerb gekommen. Doch genau darauf dürfte es nun hinauslaufen. Beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos kündigte von der Leyen gezielte Förderungen an. „Damit die europäische Industrie attraktiv bleibt, ist es notwendig, mit den Angeboten und Anreizen außerhalb der EU mitzuhalten“, sagte die Kommissionspräsidentin. Der Plan sieht vor, Regeln zu vereinfachen, um günstigere Bedingungen für Anbieterinnen und Anbieter von Produkten wie Windenergie, Wärmepumpen, Solarenergie und sauberem Wasserstoff zu schaffen. Weitere Punkte sind eine stärkere finanzielle Förderung umweltfreundlicher Technologien, eine Verringerung der Abhängigkeit von wichtigen Rohstoffen, ein Programm zur Fachkräfteentwicklung sowie ein entschlossenes Vorgehen gegen all jene Länder, die sich nicht an die Spielregeln halten.
Kommission ist sich über den Kurs nicht einig
Konkreter wird es bisher nicht. Das liegt auch daran, dass es sowohl in der Kommission als auch bei den Mitgliedsstaaten zwei Lager gibt – jene, die auf Protektionismus setzen, also den Schutz inländischer Anbieter vor der ausländischen Konkurrenz, und jene, die offen gegenüber dem Freihandel sind. Die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist, wenig überraschend, für jene Strategie, die bereits in ihrem Titel steckt. Binnenmarktkommissar Thierry Breton aus Frankreich spricht sich für Subventionen und neue EU-Schulden aus. Von der Leyen arbeitet derzeit an einem tragfähigen Kompromiss, heißt es aus Brüssel. Dieser muss dann noch von den Staats- und Regierungschefs angenommen werden.
Gewerkschaft: „EU schaut bei Lohndumping zu“
Der Gewerkschaft sieht aus einem anderen Grund keinen großen Anlass zum Jubeln über das Binnenmarkt-Jubiläum. Denn aus dem EU-Wohlstandsversprechen sei ein beinharter Kampf um die niedrigsten Standards auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geworden. Josef Muchitsch, SPÖ-Abgeordneter und Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz konzentriert sich in seiner Kritik vor allem auf Entsendungen in andere Länder. „Schwarze Schafe“ unter den Unternehmen nützen die Lohnunterschiede zwischen den Staaten schamlos aus und betreiben Sozialdumping, um den Gewinn zu maximieren, so Muchitsch. Laut Studien ist jeder zweite Entsandte unterentlohnt. Freilich sind Strafen vorgesehen, aber diese können jenseits der Grenze nicht exekutiert werden.
Sonderfall Slowenien: Österreich leidtragend
Slowenien ist im Bausektor Entsende-Land Nummer eins, Österreich das Top-Zielland. Eine nationale Regelung in Ljubljana erlaubt niedrigere Sozialversicherungsbeiträge – zahlreiche Arbeitskräfte werden aus Drittstaaten nach Slowenien geholt, angemeldet und nach Österreich entsendet – ohne auch nur einen Tag in Slowenien gearbeitet zu haben.
„Wir haben die Missstände wiederholt aufgezeigt, aber es gibt nach wie vor keine Entscheidung der EU-Kommission“, so Muchitsch. Im Februar unternimmt die Gewerkschaft einen neuen Anlauf und reist zu Gesprächen nach Brüssel.
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