Sein viertes Album „Gloria“ könnte Englands Popstar Sam Smith endgültig an die Spitze des Genres hieven. Neben einer gefälligen und zuckerlbunten Instrumentierung überzeugt das Werk in erster Linie als Selbstfindungsstütze und Zäsur, die zu einem neuen Lebensabschnitt führt. Damit kommt Smith am 18. Mai live in die Wiener Stadthalle.
Selbstliebe, Empowerment und Offenheit sind beliebte Themen im aktuellen Popgeschäft. Keine Künstlerin wagt sich dieser Tage ohne wichtige Zusatzmessage in die Öffentlichkeit, doch wie in allen Bereichen gilt es auch hier, die Spreu vom Weizen zu trennen. Im Windschatten der seriösen Protagonisten treiben sich durchaus zahllose Trittbrettfahrer herum, die ihre Inhalte mit Pseudomoral aufblasen und sich für den schnellen Euro gerne einmal wie das Fähnchen wie im Wind drehen. Englands Stimmakrobat Sam Smith ist da von einem ganz anderen Kaliber. Im Oktober 2017 outete sich Smith als nicht-binär, zwei Jahre später wurde auf seinem Instagram-Kanal bekannt gegeben, dass fortan auf männliche Pronomen zu verzichten sei. So schwer der Weg in die Richtung der Akzeptanz des eigenen Seins auch gewesen sein mag, mit der endgültigen Erklärung über seine Persona fiel Smith ein kräftiger Stein vom Herzen.
Keine falsche Bescheidenheit
Drehte sich das erfolgreiche, aber nicht mehr ganz so durchschlagende 2020er-Album „Love Goes“ noch vornehmlich um Trennungsschmerz und die Tücken der Liebe, hat Smith sich in den letzten beiden Jahren ganz sich und seinen inneren Emotionen und Gefühlen gewidmet. Das daraus hervorgehende Album „Gloria“ ist nichts weniger als ein popkulturelles Manifest für Liebe, Respekt und Toleranz, das sich in seiner opulenten Klanggewalt gar nicht erst in falscher Bescheidenheit suhlt. In seinen zehn Jahren im gleißend hellen Rampenlicht musste Smith erst einmal die richtige Rolle für sich finden. „Ich hatte Angst, gewisse Gefühle in meiner Musik auszudrücken“, erzählt Smith dem „Rolling Stone“ in einem großen Interview, „mein Geschlecht in der Musik, meine Freude mit der Musik. All diese Themen waren unheimlich privat und ich fühlte mich wohler damit, andere Seiten von mir preiszugeben.“
Die Zurückhaltung legte Smith mit Fortdauer der Jahre ab. 2016 gewann Smith einst als erster offen schwuler Mann einen Oscar für den Titelsong zum James-Bond-Film „Spectre“, 2022 gelang ein weiterer, bislang noch unerreichter Meilenstein. Die vorab ausgekoppelte, R&B-lastige Synthiepop-Single „Unholy“ war der erste Song von zwei nicht-binären bzw. Transpersonen, der auf Platz eins der englischen, als auch amerikanischen Single-Charts rauschte. Die Kooperation mit der transsexuellen und aus Köln stammenden Kim Petras trifft nicht nur auditiv den richtigen Ton, sondern fährt auch mitten ins Herz des Zeitgeists. Gerade in Smiths Heimat England ein gewichtiges Zeichen, denn Trans- und auch Homophobie sind seit geraumer Zeit wieder im Vormarsch. Die zumeist von jüngeren Menschen angeführten Gegenbewegungen zeigen nicht zuletzt durch den Erfolg der Single, dass sich doch mehr in eine progressive Richtung bewegt, als es den Anschein macht.
Safe Space Musik
„Der Erfolg dieser Single zeigt vor allem, dass queere Musik für jeden da draußen ist“, freut sich Smith über die dahinterliegende Botschaft des allumfassenden Erfolgs, „der Großteil der Künstler, mit denen ich aufgewachsen bin, waren Heterosexuelle, die Musik über heterosexuelle Erlebnisse und Erfahrungen machten. Aber dennoch hat mich diese Musik berührt. Sie hat mich nachts zum Weinen gebracht, sie hat mich nach der Liebe sehnen lassen und mich glücklich gemacht. Die Musik ist ein Safe Space und kann ein Raum sein, in dem sich die Menschen begegnen und annähern.“ Auf „Gloria“ spielt Smith geschickt und wiederholt mit religiösen Anspielungen, die auf die unverrückbare Traditionsliebe der (katholischen) Kirche deuten und denen Smith die Kraft der vorurteilsfreien Liebe und Gemeinschaft entgegensetzt. „No God“ und „Unholy“ tragen die Religiosität im Titel, den Titeltrack „Gloria“ nahm Smith mit Chorgesang in seiner Heimatkirche in Essex auf.
„Der Titeltrack ist meine queere Liebeshymne. Das Leben ist wie Gloria. Das ist eine Sache, die ich nicht mit einem Wort niederschreiben kann. Ich weiß nicht, ob es die Natur ist, oder eine gewisse Form von femininer Energie in mir, die ich musikalisch freisetze.“ Musikalisch changiert Smith auf „Gloria“ zwischen unterschiedlichsten Momenten. Der smoothe R&B-Opener „Love Me More“ fließt wie ein wohltemperierter Earl-Grey-Tee durch die Gehörgänge, „Perfect“ ist eine düstere Synth-Balladenhymne und auf „How To Cry“ phrasiert Smith mit seiner ganzen Stimmgewalt vor einer sanften Akustikgitarre dramatisch und fast schon filmisch überkandidelt. Die Gästeliste reicht von Kim Petras über Jessie Reyez und Koffee bis hin zu Smiths altem Kumpel Ed Sheeran, der auf dem Closer „Who We Love“ sein Timbre dazugesellt, um etwas sehr pathetisch aus der gut 32-minütigen Klangtour hinauszugeleiten.
Kräftiger Nachhall
Mit „Gloria“ und seinen zeitgeistigen, alle Personen umfassenden Inhalten, gelingt Smith das interessante Kunststück, mit zunehmendem Alter ein zunehmend jüngeres Publikum anzuziehen. Wo Smith selbst sich eine offene Verarbeitung der persönlichen Identitätsfindung erlaubt und dadurch wieder mit beiden Beinen grundfest in der Gegenwart steht, inspiriert und unterstützt er seine Hörerinnen und Fans in ihrem Dasein. „Gloria“ ist rein musikalisch vielleicht nicht Smiths spannendstes und revolutionärstes Werk, aber durch seine ehrlichen und durchaus mutig transportierten Sichtweisen und Inhalte jedenfalls das, das als Gesamtes den bislang größten Nachhall erzeugt. Sam Smith trägt sich nackt und angreifbar nach außen, verpackt in einer üppig produzierten Soundhülle, die Pop nicht als etwas Neues, aber rundum verbindendes definiert. In dieser Breite schafft das sonst zurzeit nur Harry Styles.
Live in Wien
Am 18. Mai kommt Sam Smith im Zuge seiner „Gloria“-Welttournee endlich wieder in die Wiener Stadthalle. Unter www.oeticket.com gibt es die Karten und alle weiteren Informationen zum Top-Event des Frühlings.
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