Autobiografie

Klaus Doldinger: Ein Leben voller Leidenschaft

Musik
24.01.2023 09:00

Er schrieb die markante Musik zum „Tatort“, „Das Boot“ und „Die unendliche Geschichte“, sorgte mit seinen Projekten Motherhood und Passport für Jazz-Geschichte und gilt als bekanntester deutscher Vertreter seines Genres - mit 86 legt der legendäre Klaus Doldinger seine Autobiografie vor.

(Bild: kmm)

Jüngere Semester werden bei der Frage nach Deutschlands bekanntestem Jazz-Musiker mit Till Brönner antworten, doch gegen das berühmteste Saxofon des Landes hat der markante Trompetenklang keine Chance. Der mittlerweile 86-jährige Klaus Doldinger benötigte die Pandemie, um mithilfe von Sohn Nicolas und dem im Musikjournalismus renommierten Autor Torsten Groß („Rolling Stone“, „Spex“) endlich sein einzigartiges Leben niederzuschreiben. Wie kein zweiter lebte er von klein auf das wandelnde Klischee des strebsamen und pünktlichen Deutschen, der sich keiner Arbeit zu schade und keiner Mühe zu müde war. In seiner Vita versammeln sich weltbekannte Filmmusiken, herausragende Jazzkompositionen und bahnbrechende Studioarbeiten, privat ist er seit geschlagenen 63 Jahren mit dem ehemaligen Model Inge verheiratet. Wer bei so viel arbeitsamer Stabilität große Skandale erwartet, wird mit seiner Autobiografie „Made In Germany“ auch nicht glücklich.

Krieg als Abenteuer
Ein paar kurze Anklänge von Kokain-Partys auf Südamerika-Tour und der mahnende Zeigefinger, wie viele große Jazzkarrieren aufgrund des weißen Goldes und Heroin den Bach runtergingen, sind das Maximum der Gefühle, aber effektheischende Lebensrückschauen mit dem untrüglichen Hang zur maßlosen Übertreibung gibt es eh genügend. Da tut es gut, dass sich ein absoluter Könner seines Faches vor allem an seine Profession erinnert. Doldinger erzählt strikt chronologisch und erinnert sich früh im Buch an sein Aufwachsen in Wien-Döbling, wo sein Vater zur Zeit des Zweiten Weltkriegs als Oberpostdirektor für die Nazis im Einsatz war. „Krieg war für uns Kinder ein Abenteuer. Dahingehend hat die Nazi-Propaganda wirklich gut funktioniert“, wird er später im Werk an diese Zeit zurückdenken. Die Erweckung zum Jazz passierte Doldinger am 8. Mai im oberbayrischen Schrobenhausen, als er ungewohnt rhythmische Klänge bei amerikanischen Besatzungssoldaten hörte und daraufhin vom Musikvirus infiziert war.

Sehr zum Leidwesen seines Vaters, mit dem Doldinger bis zu dessen Tod eine sehr problematische, teilweise völlig kalte Beziehung verband, konzentrierte sich Klaus früh auf die Klarinette und das Saxofon und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, um sich musikalisch aus den harten Nachkriegsjahren zu spielen. In liebevoller Detailverliebtheit erinnert sich Doldinger an seine ersten Dixieland-Versuche mit den Feetwarmers zurück, erzählt mit Stolz, wie eine Jazz-Auszeichnung zu einer Einladung nach Amerika führte und er sich vor allem vom auditiven Jazz-Dreigestirn New York, Chicago und New Orleans Inspirationen fürs musikalische Leben holte. Vor allem aber ist sich Doldinger niemals zu schade, über den Tellerrand zu blicken. Er vermischt früh den Dixieland-Jazz mit Modern-Jazz und Pop- oder Rock-Musik, macht eine Ausbildung zum Tonmeister und beginnt parallel für Werbejingles und Filmmusik Aufträge anzunehmen.

Saxofon mit KISS
Durch sein immenses Arbeitsethos ist der Rückhalt von Ehefrau Inge von elementarer Bedeutung, gerade in den florierenden 60er- und 70er-Jahren ist sie so ziemlich die einzige Person, die ihn außerhalb der Musikbranche zu Gesicht bekommt. Doldinger erzählt von den Treffen mit seinen amerikanischen Jazz-Helden und wie die Musik ihn auch als geächteten Deutschen in der erschütterten Nachkriegswelt zu einem beliebten Klangkünstler werden ließ. Dabei hat der heute 86-Jährige auch so manche lustige Anekdote im Gepäck. Etwa wie sich die geschminkten KISS-Musiker Gene Simmons und Paul Stanley backstage bei einem Konzert fragen, was denn sein Tenorsaxofon sei, weil sie so etwas nie sahen. Oder wie sein guter Freund Udo Lindenberg seine bahnbrechende Karriere als Schlagzeuger bei Doldinger begann und schon früh nach Höherem strebte, freilich noch ohne genau zu wissen, wohin die Reise gehen würde.

Doch Doldinger lässt auch privaten und beruflichen Schicksalsschlägen ausreichend Raum zur Entfaltung. Ein tragischer und die gesamte Karriere prägender tödlicher Autounfall in der DDR oder eine Fehlgeburt bei seiner Frau, bevor schlussendlich drei Kinder für ein spätes Familienglück sorgten, sind wichtige Themen. Doldinger sollte vor allem mit seinen Bands Motherhood und Passport zu Weltruhm kommen, übertroffen wurde das nur durch seine markanten Titelmusiken zur „Tatort“-Reihe, zu „Die unendliche Geschichte“ und Wolfgang Petersens Geniestreich „Das Boot“. Auch die ikonische Film-Fanfare der Produktionsfirma Constantin AG geht auf die Kappe des Wahl-Bayern, der sich in den 60er-Jahren Haus und Studio im beschaulichen Icking einrichtete und dort die heimische Stabilität fand, die ihm zu mehr als zwei Dritteln des Jahres als tourender Weltenbummler verwehrt blieb.

Ode an die Freiheit
Schreibend bewegt sich Doldinger zwischen überbordendem Selbstbewusstsein und trocken-humoriger Sympathie. Er gibt offen zu, dass er seinen Fleiß und seine Fähigkeiten anerkennt, aber nicht erklären kann, wie es schlussendlich zu einer solchen Weltkarriere kommen konnte. „Made In Germany“ ist eine Ode an die Freiheit, an Toleranz und die Wichtigkeit, im Leben immer neugierig und offen zu sein. Dass sich Doldinger als Workaholic mit 86 Jahren in nahezu bestem Zustand befindet, zeigt außerdem, dass das beharrliche Verfolgen einer Passion wie ein Jungbrunnen ist. „Made In Germany“ erzählt nicht nur vom Leben des bekanntesten deutschen Jazzers, sondern gibt auch Lektionen in Zwischenmenschlichkeit, ohne es mit nerviger Autorität zu tun. Folge deinem Traum - so direkt hat uns das vor Doldinger noch kein Nicht-Amerikaner klarzumachen versucht.

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