Vom Spitalsbetrieb in die freie Praxis: Der steirische Arzt Gernot Brunner lebt heute von dem, was Patienten und Ärzten zunehmend fehlt - ein gutes Gespräch. Der „Krone“ hat er erklärt, warum er diesen Schritt gemacht hat.
Bereits ein Viertel der steirischen Bevölkerung leidet an Rückenschmerzen. Die Beschwerden belasten den Einzelnen, aber auch das Gesundheitssystem: Teure Untersuchungen in der Röhre mit MRI- oder CT-Geräten sind etablierte Standards, danach geht’s zur Physiotherapie.
„Dabei lehrt uns die Erfahrung, dass Rückenleiden in den meisten Fällen psychosomatisch bedingt sind“, zweifelt Gernot Brunner an der Sinnhaftigkeit dieser Überversorgung. „Ein ausführlicher Dialog mit dem Patienten könnte da oft sicher mehr bewirken“, meint der Mediziner.
„Meine Leistung ist das Gespräch“
In der Grazer Praxis des 56-Jährigen sucht man vergeblich nach Geräten, Liegen oder Medikamenten; dafür bietet Brunner etwas, das heute in einer herkömmlichen Arztpraxis nur noch selten zu finden ist: Zeit. „Meine Leistung ist das Gespräch, dafür plane ich beim Erstkontakt eineinhalb Stunden ein“, hält der einstige Rettungsfahrer Ohren und Herz weit offen.
Zielgruppe sind akut oder chronisch kranke Menschen, die nicht mehr weiter wissen: „Viele Patienten haben heutzutage das Gefühl, dass ihnen wichtige Informationen für ihre Gesundwerdung fehlen, andere haben ihre Diagnose oder Befunde nicht gänzlich verstanden, wieder andere benötigen eine Zweitmeinung bei schwierigen Therapie-Entscheidungen“, umreißt Brunner die Bandbreite der Anliegen.
Sinnfrage: „Will ich so weitermachen?“
Nach Facharztausbildungen für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie sowie Intensivmedizin wurde Brunner im Jahr 2008 ärztlicher Direktor des LKH-Universitätsklinikums Graz. „Ein toller und facettenreicher Job“, rekapituliert er.
Doch mit zunehmendem Druck auf das Gesundheitssystem („es leiden mittlerweile alle - vom Patienten über den Arzt und Pfleger bis zum Manager“) wird eine Frage immer lauter: „Will ich so bis zu meiner Pension weitermachen?“
Man glaubt gar nicht, wie viele Patienten einfach nur reden wollen, eine Übersetzung von Arztbriefen oder etwa eine Zweitmeinung bei schwierigen Entscheidungen benötigen.
Dr. Gernot Brunner, Graz
Mit Unterstützung seiner Familie kehrt Brunner 2018 dem Krankenhausbetrieb dann tatsächlich den Rücken, geht in Bildungskarenz und macht eine Ausbildung zum Coach: „Ich wollte näher beim Patienten, aber auch bei mir sein“, erzählt er. Nicht alle konnten sich für den „Abtrünnigen“ freuen: „Viele haben mich gefragt, ob ich verrückt geworden bin, einen so guten Job sausen zu lassen, andere haben mich belächelt - aber das war mir egal“, erzählt er.
„Begleitung ist schon die halbe Therapie“
Heute helfen dem Familienvater sein Wissen, vor allem aber seine eigene, persönliche Erfahrung bei seiner neuen Aufgabe enorm weiter: „Beinahe alle Patienten, vor allem jene, die schwerer erkrankt sind, stellen sich Sinn-Fragen. Die Betroffenen dabei nach bestem Wissen und Gewissen zu begleiten, ist schon die halbe Therapie“, weiß er.
Gernot Brunner (56) hat drei Facharztausbildungen gemacht und war von 2008 bis 2018 ärztlicher Direktor am LKH-Uniklinikum Graz. 2002 war er der Leibarzt des Dalai Lama. Heute arbeitet Brunner als Arzt und Coach in einer freien Praxis in Graz und bietet seinen Patienten statt Untersuchungen ausführliche Gespräche an. Seine Theorie: „Ein Mensch ist nie vollständig gesund oder krank, sondern bewegt sich stets irgendwo dazwischen.“ Sein Ziel: Den Patienten dazu zu bringen, die Erhaltung seiner Gesundheit selbst aktiv in die Hand zu nehmen.
Dabei ist dem Mediziner vor allem ein Punkt zentrales Anliegen: „Ich versuche meinen Patienten zu erklären, dass jeder Mensch Kapitän seines Lebens ist und dementsprechend selbst enorm viel zu seiner Gesundwerdung beitragen kann.“ Der erste Schritt zur ganzheitlichen Heilung? „Ein ehrlicher Dialog mit sich selber.“
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