Moral am Boden

„Eine verdammte Hölle“: Russen-Telefonate abgehört

Ukraine-Krieg
22.01.2023 19:44

Schlechte Moral, miserable Versorgungslage, hohe Verluste: Vom ukrainischen Militärgeheimdienst mitgeschnittene Telefonate russischer Soldaten enthüllen fast ein Jahr nach Invasionsbeginn erschreckende Details über die Situation der moskautreuen Truppen.

„Das ist kein Krieg, das ist eine verdammte Hölle“, bringt es ein Mann in einem Gespräch mit einem Freund in der Heimat auf den Punkt. Von seiner Einheit, ursprünglich 240 Mann, seien nur 94 übrig. Der Soldat, der seit zwei Monaten im Einsatz ist, beschwert sich auch über die schlechte Versorgungslage. „Es gibt keinen Nachschub, wir leben wie verdammte Hunde in Löchern“, sagt er. Zwei Tage seien er und seine Kameraden im Keller eines zerstörten Hauses gesessen und hätten nur rohe Kartoffeln gegessen. Er berichtet auch von Plünderungen. Sein Gesprächspartner weist ihn daraufhin an, am Telefon nicht zu viel zu sagen.

Abgefangen und veröffentlicht wurden die Telefonate vom Militärnachrichtendienst der Ukraine (HUR). Der Twitter-Account @wartranslated, der regelmäßig Videos, Tonaufnahmen und Chatnachrichten, die den Krieg betreffen, ins Englische übersetzt, teilte die Mitschnitte (siehe Tweet unten). Sie zeichnen kein Gesamtbild, geben aber Einblick in Einzelschicksale.

Verwundet - 1000 Kilometer von der Front entfernt
Ein Mann aus der russischen Teilrepublik Mordwinien, der im Einsatz in der Ukraine ist, erklärt einer Frau am Telefon, dass es in einer erst kürzlich mobilisierte Einheit in Uljanowsk - über 1000 Kilometer entfernt von der Front - bereits Verletzte gibt. „Die waren noch nicht einmal in der Ukraine und sie haben 30 Verwundete!“, berichtet er. Denn dort hätten sich Männer betrunken geprügelt oder wegen zu viel Alkoholkonsum Erfrierungen erlitten.

Ein anderer Soldat zeigt sich schockiert über die hohe Zahl an Toten und Verletzten in seiner Einheit. Durch den Mangel an Ausrüstung könne man derzeit nur unter dem ukrainischen Artilleriefeuer ausharren. Man warte auf neue Fahrzeuge, da die alten von den Ukrainern zerstört worden seien.

Mobilisierte russische Reservisten werden in der Oblast Tjumen verabschiedet. (Bild: AP)
Mobilisierte russische Reservisten werden in der Oblast Tjumen verabschiedet.

Einberufung trotz OP
Einer Frau zufolge, deren Telefonat mit einem Soldaten abgefangen wurde, werden weiterhin Männer mit Militärerfahrung einberufen - trotz des offiziellen Endes der Mobilmachung. Ein Russe sei dabei nur zehn Tage, nachdem er eine Operation hatte, eingezogen worden. Auch der Mann einer Bekannten wurde trotz seiner Krankheit eingezogen, erzählt sie. „Wenn er nicht tot ist, dann geht er“, so die Frau.

Über eine mögliche neue Mobilisierungswelle in Russland, die bald starten könnte, gab es bereits Berichte, eine Frau erzählt von Gerüchten einer neuen Mobilmachung im Februar. Sie berichtet auch von acht Soldaten, die desertiert seien. „Sie haben bis in die Oblast Moskau mit Maschinengewehren autogestoppt und sich dann der Polizei ergeben“, sagt die Frau in dem Telefonat.

Oft äußern die Soldaten am Telefon den Wunsch, heimzukehren. Die Mitschnitte unterstreichen die Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums, wonach Moskau es schwer haben wird, die geplante Aufstockung seines Militärs umzusetzen. „Russland wird höchstwahrscheinlich Schwierigkeiten haben, Personal und Ausrüstung für die geplante Erweiterung aufzutreiben“, teilte das Verteidigungsministerium in London am Sonntag in seinem täglichen Geheimdienst-Briefing mit. Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu hatte vor kurzem unter anderem angekündigt, die Truppenstärke von 1,15 auf 1,5 Millionen Soldaten erhöhen zu wollen.

„Alle Versuche zurückgeschlagen“
Indes hat Russland nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau den zweiten Tag in Folge im Kampf in der ukrainischen Region Saporischschja Fortschritte gemacht. Russische Truppen würden ihre Position verbessern. Dem Ministerium zufolge hat es auf der Gegenseite Verluste gegeben, außerdem sei militärisches Gerät zerstört worden, darunter Haubitzen und zwei US-gefertigte HIMARS-Raketen. Die Ukraine hatte am Samstag mitgeteilt, die russischen Behauptungen seien übertrieben. Jewhen Jerin, ein Militärsprecher in Saporischschja, sagte dem ukrainischen Fernsehsender Suspilne: „Im Moment haben sie nichts erobert. Alle ihre Versuche wurden zurückgeschlagen und der Feind hat Verluste erlitten“. 

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