Mitten in der russischen Umstrukturierung des Angriffskrieges auf die Ukraine sorgt eine für Laien eher ungewöhnliche Debatte für Kopfschütteln. Seitdem der neue russische Generalstabschef Waleri Gerassimow das Kommando übernommen hat, soll nämlich ein Bart- und Handyverbot für mehr Disziplin sorgen. Dabei hagelt es nicht nur Kritik, sondern auch Spott aus den eigenen Reihen - und das von durchaus prominenter Stelle.
Unübliche Haarschnitte, die Benutzung von Mobiltelefonen, Fahrten in zivilen Fahrzeugen oder das Tragen von nicht vorschriftsmäßigen Uniformen und die „Verbesserung der Rasur der Soldaten“ - mit derlei Maßnahmen möchte Gerassimow „die tägliche Disziplin der eingesetzten Truppen verbessern“, hieß es am Montag im Morgenbericht des britischen Geheimdienstes.
Gab es zunächst noch Zweifel, ob es diese Verbote tatsächlich gibt, äußerte sich nun der ehemalige Generalleutnant und Duma-Vertreter Viktor Sobolev in einem Interview mit der Nachrichtenseite „RBC“ zu der Causa. „Wenn ein Soldat ungepflegt und unrasiert herumläuft, ist das weder für ihn als Person noch als Soldat ein Kompliment“, so Sobolev.
Kadyrow: „Was ist das für ein Unsinn?“
Doch auch die Reaktionen hochrangiger Militärs lassen auf die Echtheit der Befehle schließen - von niemand geringerem als „Putins Koch“ und Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin sowie dem berüchtigten Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow. „Als ob es an der Front keine Probleme gäbe. Was ist das für ein Unsinn?“, schrieb Kadyrow dazu auf Telegram. Ein solches Verbot sei „absurd“ und eine klare Provokation gegen die muslimischen Soldaten, die „als Teil ihrer religiösen Pflicht“ Bärte trügen.
Prigoschin: Rasur an der Front „absoluter Luxus"
„Der Krieg ist die Zeit der Aktiven und Mutigen und nicht die der Glattrasierten“, äußerte sich daraufhin auch Prigoschin in der Debatte. An der Front sei eine Rasur nämlich absoluter Luxus und ein Handy-Verbot zudem archaisch und nicht mehr zeitgemäß.
Beamte in der Volksrepublik Donezk gingen mit ihren Formulierungen sogar noch weiter. Eine solche Festlegung von Prioritäten sei eine „Farce“ und würde den „Prozess der Vernichtung des Feindes behindern", zitierte der britische Geheimdienst eine entsprechende Reaktion vor Ort.
Nur wenig Rückhalt für neuen Befehlshaber
Indessen kommt die russische Armee auch unter der neuen Führung nicht wirklich in die Gänge - die Truppen kämpfen vor allem mit operativem Stillstand und hohen Verlusten in den Gefechten. Die gesetzten Prioritäten des neuen Befehlshabers in der Ukraine dürften dabei die Befürchtungen seiner vielen Skeptiker in Russland weiter bestätigen.
Gemeinsam mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu wird er zunehmend als realitätsfremd angesehen - er konzentriere sich nämlich mehr auf die Präsentation der Armee als auf das Wesentliche, so die Kritik.
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