Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Sanft schmiegt sich das Licht der Laterne auf den nassen Asphalt, der Wind pfeift unerbittlich durch die Gasse und zieht durch meine Jacke hindurch. Die Uber-App zeigt mir seit gefühlt zehn Minuten an, dass mein Fahrer in einer Minute eintreffen sollte - ein Erlebnis, wie man es eigentlich von den Wiener Linien gewohnt ist. Kurz nachdem es mich abermals fröstelt, biegt Gülen geschwind um die Ecke und - man muss es angesichts seines waghalsigen Manövers genau so sagen - schleift rasant in die einzig schmale Parklücke, neben der ich auf ihn warte. Angesprochen auf die Diskrepanz zwischen angezeigter und tatsächlicher Wartezeit zeigt er sich verwundert und bekundet glaubhaft, der Fehler müsse irgendwo in meiner App zu verorten sein.
Eine weitere Diskussion darüber ist erstens ohnehin müßig, zweitens startet Gülen seine Charmeoffensive, bevor ich mich überhaupt in sein von meinem Vorgänger aufgewärmtes Leder fläze. In der Mittelkonsole wartet der ca. 30-Jährige mit einer offenen Schachtel voller Weihnachtsschokolade auf und bietet sie mir kostenfrei feil. „Die habe ich mir vorher bei der Manner-Fabrik geholt. Sie hat nur die Hälfte gekostet, weil sie sonst wohl auf den Weihnachtswaren sitzen bleiben. Also habe ich mir ein paar der Packungen für meine Familie und meine Fahrgäste besorgt.“ Nebenbei entschuldigt sich Gülen höflich, dass er während des Einsteigens noch ein Privattelefonat geführt hat. Astreine Manieren und ein Fuß, der gerne aufs Gaspedal drückt - es gab definitiv schon schlechtere Fahrten.
Gülen ist jung, sportlich und sportlich gekleidet. Er selbst lässt lieber die Finger von der Schokolade, wie er mir schmunzelnd versichert, die restlichen Packungen bekommt nach Dienstschluss seine Frau. Interessiert frage ich nach, wie er überhaupt auf die Idee komme, seinen Fahrgästen etwas zu schenken. Für den gebürtigen Türken eine Selbstverständlichkeit. „Die Menschen sind fast immer schwer im Stress, haben oft keine gute Laune oder sind betrunken, wenn sie bei mir einsteigen. In all diesen Fällen ist es sicher kein Nachteil, wenn man jemandem etwas anbieten und vielleicht eine kleine Unterhaltung starten kann.“ Gülens Rezensionen in der Uber-App bestätigen sich sofort. „Wunderbarer Gesprächspartner“, „tolle Unterhaltung“ oder „guter Unterhalter“ steht dort etwa geschrieben.
Wer die alteingesessenen Wiener Taxler gewohnt ist, muss mit so viel Fürsorge und Freundlichkeit erst einmal klarkommen. Für Gülen eine Selbstverständlichkeit, wie er meint, schließlich sei er so erzogen worden. „Mein Vater hat mir immer gesagt, dass ich stets freundlich bleiben soll. Auch wenn es in einer Diskussion einmal hitziger zugeht und ich meinen Standpunkt bestimmt festigen soll - Respekt gegenüber dem Diskussionspartner und seiner Meinung ist immer das oberste Gut.“ Mit dem klassischen Wiener „Grantler-Taxler“ hat Gülen nichts zu tun. Er begann seine Fahrer-Karriere im Uber, musste nach der Gesetzesnovelle den Taxischein nachmachen und nimmt noch heute keine Laufkundschaft mit. „Ich dürfte natürlich, aber lasse mich nur über die App rufen. Dort habe ich die Daten vom Kunden und alles ist per Karte im Voraus bezahlt. Es erspart mir rundum sehr viel Ärger.“
Gülen erzählt im freundlichen Plauderton, ohne Punkt und Komma, aber dafür mit sehr viel Gestik, von seinem Leben im Taxi, einem Familienalltag und wie sehr es ihm Freude bereitet, auch im privaten Bereich zu schenken. „Ein Geschenk ist immer dann gut, wenn es persönlich ist und überraschend kommt. Selbst wenn du dabei keinen Volltreffer landest, wird der Beschenkte immer glücklich sein, weil die Mühe dahinter echt und unverfälscht war.“ Auch bei der Schokolade für die Fahrgäste ist es keinesfalls dem Zufall geschuldet, dass er bei der Manner-Fabrik vorbeifuhr. „Ich habe immer etwas für meine Gäste. Und wenn es etwas Schnelles vom Hofer oder der Tankstelle ist. Und glaub‘ mir, nach einem Stück Schokolade hat sich noch bei jedem die Laune verbessert.“
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