Sechs Monate „Auszeit“

Inseltraum statt Haftraum für 15-jährigen Wiener

Wien
31.01.2023 10:30

Verwirrung in einem Wiener Gerichtssaal: Während sich zwei jugendliche Verdächtige dem Verfahren wegen angeblicher Nötigung stellten, glänzte ein Mitangeklagter durch Abwesenheit. Denn was selbst die Richterin nicht wusste: Dieser 15-Jährige weilt seit 1. Oktober 2022 auf der portugiesischen Blumeninsel Madeira.

Er hatte aufgrund dessen Wochen zuvor schon einen anderen Prozess und ein mögliches Urteil verschieben dürfen. Der Jugendliche nimmt gerade an einem sechsmonatigen Auszeitprojekt teil - von der Justiz genehmigt, durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe finanziert. Kosten: 29.270 Euro.

„Er ist der erste aus Wien, der an dem Projekt teilnimmt. Laut Experteneinschätzung waren in seinem Fall die Möglichkeiten der stationären und ambulanten Betreuung in Wien ausgeschöpft“, so das Jugendamt.

(Bild: Gerhard Bartel)

Zeigt kriminelles und dissoziales Verhalten
Selbst ein Haft-Erlebnis schreckte den unter der Obhut eines sozialpädagogischen Vereins stehenden Wiener nicht ab. Er zeige kriminelles und dissoziales Verhalten (Zerstörung, körperliche Übergriffe), verweigere Tagesstrukturen und sei betreuungs- und therapieresistent - die Pädagogen kamen nicht an ihn ran. Wofür die Betreuer vor allem dessen Freundeskreis außerhalb der Vereinseinrichtung verantwortlich machen. Und so landete der 15-Jährige auf Madeira.

Sechs Monate in Insel-Camp für Problem-Jugendliche
Dort sollte er in einem Camp mit Tagesstrukturen, Unterricht, Handwerken, Kochen und diversen Aktivitäten resozialisiert werden. Begleitet vom stationären Expertenteam und persönlichen 1:1-Betreuern aus Wien, die sich auf der Blumeninsel abwechseln.

Fakten

Im vergangenen Jahr waren insgesamt 444 verurteilte Minderjährige in heimischen Justizanstalten inhaftiert. Einige davon gar mehrmals. 13 Jugendliche landeten im Maßnahmenvollzug.

Wiener Kinder- und Jugendhilfe bleibt optimistisch
„Wir sind zuversichtlich, dass eine nachhaltige Stabilisierung und Verbesserung seiner psychischen Verfassung gelingt“, gibt man sich bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe optimistisch. Die bisherigen Rückmeldungen aus Madeira über den Betreuungsverlauf des Jugendlichen seien positiv.

Bleibt zu hoffen, dass diese positive „Insel-Stimmung“ auf dem Wiener Festland dann nicht wieder verfliegt - und das Resozialisierungsprojekt am Ende nicht als bezahlter Jugendurlaub verbucht werden muss.

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