Seit mehr als zehn Jahren verändern drei Schotten unter dem schönen Namen Young Fathers die Pop-Welt aus dem Untergrund heraus. „Heavy Heavy“, ihr Viertwerk nach fünf Jahren Pause, ist ein klanglicher Mahlstrom der Entfesselung und ein weiterer Beweis, dass Popmusik ungemein spannend sein kann. Man muss es nur wollen.
Erst zweimal gab es bislang in Österreich die Möglichkeit, den überbordenden Genius der Young Fathers auch live zu erleben. 2016 waren sie Vorband von Massive Attack im Wiener Gasometer, zwei Jahre später brachten sie mitternachts im Linzer Brucknerhaus als Späteinlage des famosen „Ahoi! The Full Hit Of Summer“-Festivals noch einmal die morschesten Knochen zum Beben. Augenzeugen dieser fast schon manischen, ungemein ursprünglichen Performance erinnern sich mit wohligem Schauer an eine intensive Show, wie sie nur in einer ganz bestimmten Sturm-und-Drang-Phase junger Menschen möglich ist. Das Besondere an dem schottischen Trio ist, dass man die waidwund trabende Energie auf Platte und der Bühne gleichermaßen wiedergeben kann, ohne dabei Zugeständnisse zu machen.
In der Ruhe liegt die Kraft
Nach dem zurecht mit dem Mercury Prize veredelten Debüt „Dead“ (2014), dem nicht minder gelungenen Nachfolger „White Men Are Black Men Too“ (2015) und dem bisherigen kommerziellen Höhepunkt „Cocoa Sugar“ (2018) ließ sich das Gespann aus Edinburgh ganze fünf Jahre für den Nachfolger Zeit. Verantwortlich dafür war in erster Linie einmal nicht die Pandemie, sondern Persönlichkeitskalibrierungen der einzelnen Mitglieder. Vaterschaft, Ahnenforschung und Aufräumen im privaten Beziehungskreis standen am Programm. Parallel dazu arbeitete man schon Mitte 2019 erstmals an „Heavy Heavy“, beeilte sich aber nicht damit, die zehn Tracks möglichst schnell fertigzustellen. Obwohl die zwanglose Unmittelbarkeit ein probates Stilmittel im ansonsten stilistisch unfassbaren Soundkosmos der Young Fathers ist, lag die Kraft bei den gereiften Herren auch mal in der Ruhe.
Aufgenommen mit einfachen Mikrofonen und Geräten im betulichen Heimstudio, verwundert es, dass „Heavy Heavy“ klanglich so gar nicht unbescheiden nach Lo-Fi-Produktion klingt. Nach 15 Jahren der Zusammenarbeit haben Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und G Hastings alles erlebt und diverse Wege gefunden, ihrer wildwuchernden Kunst expressionistisch Ausdruck zu verleihen. „Jede neue Platte muss besser sein als die letzte“, wird Massaquoi zitiert, „das ist die Mentalität. Wenn es nicht besser wäre, würde es nicht herauskommen.“ Wertungen und Rankings sind im Subjektivitätsfeld von Kunst und Kultur per se schon schwierig, bei einer Band wie den Young Fathers potenziert sich das Problem ins Unendliche. Ihre eklektische Mischung aus Hip-Hop, Urban-Sounds, Trip-Hop, Punk, Dub, R&B und - ja! - Glam-Rock-Zitaten (man lauschen etwa dem klanglichen Korpus der Feelgood-Single „I Saw“) will sich nicht greifen lassen und ist gerade deshalb so spannend.
Viele Finten und Details
Songs, wie das mit einem sumpfigen New-Orleans-Feeling angereicherte „Rice“ oder die bereits vor Monaten veröffentlichte Single „Geronimo“, variieren in ihrer Machart so stark, dass sie selbst beim x-ten Hören noch immer Finten und Details offenbaren, die man anfangs noch nicht einmal erahnen konnte. Auf „Heavy Heavy“ haben die Young Fathers - so das überhaupt möglich ist - sich von den wirklich allerletzten übriggebliebenen Fesseln und Dogmen befreit, um sich jedweder Schubladisierung schon im Ansatz zu entziehen. „Die Leute wollen uns immer in irgendwelche Nischen stecken“, erzählten sie der „Irish Times“ in einem Interview zum neuen Album, „aber wenn du uns fragst, wofür ,Heavy Heavy‘ steht, dann für das Leben. Es geht einfach darum, das Leben zu zelebrieren.“
Dafür strecken die Edinburgher ihre Fühler in lichte Sphären. Den orchestralen Bombast in „Tell Somebody“ hätte man sich so sicher nicht erwartet und das finale „Be Your Lady“ ist eine irrwitzige Achterbahnfahrt zwischen Industrial-Anleihen, einem R&B-Teppich und der kathartischen Endstimmung, die aus diesem wieder viel zu kurzen, aber beeindruckenden Klangvergnügen entlässt. „Ululuation“ hingegen feiert die afrikanischen Wurzeln zweier Bandmitglieder mit einer umfassenden Instrumentierung, die in „Sink Or Swim“ zu einer etwas basischeren Ausrichtung zurückgeht. „Zurück zur Basis“ war auch das vorgegebene Motto bei der Albumproduktion, doch was ist die Basis einer Band, die sich jeglicher Zuschreibung entzieht und wie ein glitschiger Aal durch unterschiedlichste Welten gleitet? Das kontrollierte Chaos und der Mut zur Andersartigkeit sind die entscheidenden Prämissen, die man auf „Heavy Heavy“ so kompromisslos auslebt, als würde man aus dem Nichts sein vorurteilsfreies Debüt auf die Menschen loslassen.
Österreichische Beteiligung
Es ist beeindruckend, mit welcher Ungezwungenheit und Lockerheit die Band sich von nichts und niemand vereinnahmen lässt und damit immer noch zu den spannendsten Acts im großen Teich des alternativen Pop-Kosmos gehört. „Heavy Heavy“ ist ein Gesamterlebnis, das sich auch aus den Videos zusammensetzt, für die (im Falle von „I Saw“) unter anderem auch der österreichisch-nigerianische Multimedia-Künstler David Uzochukwu verantwortlich zeichnet. Die Young Fathers geben weiterhin den Weg für eine goldene Zukunft des politisch und gesellschaftlich aufmerksamen Pop vor, der sich um die Umbrüche der Welt auch ohne mahnenden Zeigefinger und bedrückenden Pessimismus kümmern vermag. Zu einem Österreich-Livetermin kam es bei der gerade stattfindenden Europa-Tour nicht - eine veritable Schande.
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